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Je näher das Attentat, desto eher würden Menschen persönliche Freiheit gegen Überwachung tauschen.
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Wien. Vor einem Jahr stürmten die Brüder Kouachi die Redaktionsräumlichkeiten des französischen Statireblatts "Charlie Hebdo" in Paris und töteten zwölf Menschen. Die Brüder waren den französischen Behörden im Zusammenhang mit IS-Sympathien bereits vor ihrer Tat ein Begriff. Im Sommer des gleichen Jahres enthauptete Yacin S. seinen Vorgesetzten. Die Behörden beobachteten die Person über Jahre hinweg. Am Freitag, dem 13. November 2015, töteten Attentäter in Paris 130 Menschen. Auch über sie wussten die Behörden Bescheid. Gestern, Donnerstag, erschoss ein Polizist in Paris einen 20-jährigen, aus Marokko stammenden und 2013 wegen eines Diebstahldelikts verurteilten IS-Sympathisanten, der neben einem Metzgerbeil auch eine Bombenattrappe bei sich trug. Laut Medienberichten hatte er bei seinem Angriff auf ein Polizeikommissariat "Allahu Akbar" (Gott ist größer) gerufen.
Solche Momente sind es, die den Ruf nach mehr Überwachung durch den Staat zum eigenen Schutz immer wieder aufs Neue entfachen. Vor allem aber äußert sich der Ruf nach mehr Überwachung durch solche Attentate immer leichter, wie Experten meinen.
"Wurschtigkeits"-Gefühl
Christian Fleck vom Institut für Soziologie der Universität Graz nimmt dafür die Londoner Innenstadt als Beispiel, die nach den Anschlägen der IRA (Irish Republican Army) verstärkt durch Kameras überwacht wird. "Dort waren die Leute überwiegend der Meinung, dass der Staat ruhig zuschauen darf, wir tun eh nichts." Nachsatz: "Wenn man dafür die Richtigen erwischt, ist die Überwachung respektabel." Mit anderen Worten: Für den eigenen Schutz ist man eher dazu bereit, seine persönliche Freiheit zu beschränken. Nach Attentaten umso mehr, je näher sie erfolgen. Was Themen wie Vorratsdatenspeicherung angeht, beobachtet Fleck in Österreich eine "Wurschtigkeit" in der Bevölkerung. "Es ist zwar ein Unbehagen da, aber man nimmt es letztlich hin." Es sei laut dem Soziologen aber egal, ob der Staat über die Daten verfügt, "weil man in der Regel erst nach der Tat draufkommt, dass jemand auffällig gewesen wäre". Frankreich etwa hat die Vorratsdatenspeicherung. Trotzdem konnten die Anschläge nicht verhindert werden.
Gänzlich nutzlos ist die Arbeit der Geheimdienste aber nicht. Aus einem Papier des Innenministeriums geht nämlich hervor, dass zwischen dem 9. Jänner und dem 12. November des vergangenen Jahres insgesamt 19 terroristische Anschläge in Europa vereitelt wurden. Zum Teil scheiterten diese in ihrer Durchführung. Der Datenforensiker Uwe Sailer, der als Experte immer wieder von den Verfassungsschützern beauftragt wird, wenn es darum geht, die Datenspuren von verfassungsfeindlichen Organisationen zu sichern und auszuwerten, sagt ganz klar: "Die Hemmschwelle für Überwachung sinkt." Das liege daran, dass sich "nur ein geringer Prozentsatz mit Menschenrechten und Demokratie beschäftigt". Wenn eine einzelne Person dazu bereit ist, Daten via Smartphone herzugeben, sei das ihr Problem. "Aber der Staat hat Macht, und die gehört kontrolliert."
Gesetzesentwurf "unausgereift"
Derzeit wird in Österreich an einem neuen Staatsschutzgesetz gebastelt, um den Kampf gegen den Terror zu verbessern. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits von SPÖ und ÖVP präsentiert. Grüne und Neos fanden bis zuletzt noch einige Lücken darin. Am Montag bezeichneten die Pinken das Gesetz als noch "unausgereift" und befürchten eine unkontrollierbare Überwachungsbehörde. Für Neos-Sicherheitssprecher Niko Alm besteht die Gefahr einer Vorratsdatenspeicherung über Umwege.
Die Befugnisse müssten so präzise wie möglich sein. Begriffe wie "verfassungsgefährdender Angriff" und "wahrscheinliche Gefährdung" sind für Alm zu weit gegriffen. Weiters wollen die Neos eine richterliche Genehmigung im Vorfeld und eine "lückenlose parlamentarische Kontrolle". Kritik gibt es auch zum geplanten Rechtsschutzbeauftragten. Dieser sei im Ministerium angesiedelt, zudem könne ihm behördlich die Akteneinsicht verwehrt bleiben. Auch die Datenspeicherung ist Alm ein Dorn im Auge.
Die Grünen fordern zudem noch eine Ausgliederung der Spionageabwehr aus dem Verfassungsschutz. Am 19. Jänner wird der Gesetzesentwurf im Innenausschuss behandelt, Ende Jänner ist ein Beschluss geplant.
Laut Sailer brauche es eher "kompetentes Personal, Mitarbeiter, die fremde Sprachen sprechen, die Ahnung vom kulturellen Hintergrund oder Kenntnis von bestimmten Szenen und Ideologien haben". Mit dem Gesetz alleine werde man keine nennenswerten Erfolge erzielen.