Öffentlicher Raum bedeutet, dass Frauen sich frei bewegen können.
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Die Geschehnisse wie jene in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof waren gewissermaßen erwartet. Auch wenn jetzt alle so tun, als wären sie völlig überrascht. Tatsächlich waren sie seit längerem erwartet. Die Rechten haben nur darauf gewartet. Die anderen haben es befürchtet. Die Rassisten sehen ihre Erwartungen bestätigt, die Nicht-Rassisten ihre Befürchtungen. Aber alle waren gewissermaßen bereit dafür. Und dann war es doch wieder überraschend - wo da etwas aufbricht. Und wie. Klar war, dass etwas im öffentlichen Raum passieren würde. Übergriffe im öffentlichen Raum sind immer auch Angriffe des öffentlichen Raums. Wie schon bei den Attentaten in Paris, so wurde auch in Köln das Öffentliche mit angegriffen. Denn solche Attacken erzeugen Angst vor dem öffentlichen Raum, speziell Angst vor großen Menschenansammlungen - Angst vor der Masse.
"Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes", schreibt Elias Canetti, der Theoretiker der Masse. Diese Furcht könne sich ins Panische steigern. Deshalb habe der Mensch Abstände um sich geschaffen - um dem Angreifen, das er als Angriff erlebt, zu entgehen. Nur in der Masse, also in jenen Momenten, wo man sich der Masse überlässt, wo man Teil der Masse wird, werde "der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst". Insbesondere in der Festmasse, der Masse bei Festen und Feiern, seien angstfreie Annäherungen möglich. Das sollte auch für Frauen gelten.
Wenn nun die Kölner Bürgermeisterin für "eine Armlänge" Abstand plädiert, damit Frauen sich schützen, dann verkennt sie - neben allem anderen - auch, dass dies den Sinn der Festmasse annullieren würde. Festivitäten wie den Karneval könnte man dann gleich absagen. Angriffe wie jene in Köln wirken weiter. Sie vergiften den öffentlichen Raum. Denn öffentlicher Raum bedeutet, dass Frauen sich frei bewegen können.
Die Angreifer - im wahrsten Sinne des Wortes - haben Hetzmassen gebildet: Gruppen von Männern, die einzelne Frauen umzingeln. Die Hetzmasse bildet sich im Hinblick auf ein rasch erreichbares Ziel, so Canetti, das sie mit großer Entschlossenheit verfolgt. Ein zentraler Moment der Hetzmeute liegt in der "Gefahrlosigkeit des Unternehmens". Es ist gefahrlos, so Canetti, weil die Meute dem Opfer so überlegen ist. Das Opfer kann ihnen nichts anhaben. Es ist in seiner Wehrlosigkeit "nur noch Opfer". Man kann sich gut vorstellen, welch schreckliches Erlebnis das für die solcherart ausgelieferten Frauen ist.
Die Überlegenheit der Männergruppe über einzelne Frauen scheint für diese auch das Erleben einer Überlegenheit über die Gesellschaft zu sein - dann nämlich, wenn Gesellschaft darüber definiert wird, "ihre" Frauen zu schützen. Was für ein patriarchales Verständnis von Gesellschaft liegt dem zugrunde!
Eben das verstehen die Rechten, die Rassisten genau. Diese haben nicht plötzlich die Frauenrechte entdeckt. Sie sind nicht einmal heuchlerisch. Denn ihnen geht es ja nur um den Schutz "unserer" Frauen - sie senden den Angreifern deren eigene Botschaft zurück.
Und die Frauen selbst? Sie stehen zwischen dem Missbrauch durch die Hetzmeute und jenen, die sie als "unsere", also als "ihre" Frauen reklamieren. Für die Frauen und ihre Rechte ist derzeit viel zu tun.