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UNHCR-Konferenz zu Irak-Flüchtlingen. | Syrien und Jordanien sind massiv betroffen. | Wien/Damaskus/Amman. Als "menschliches Elend" bezeichnet Jean-Philippe Chauzy von der Internationalen Organisation für Migration das Dasein der irakischen Flüchtlinge in Syrien und Jordanien. "Vielfach zahlen Menschen Mieten für unzumutbare Bedingungen ohne sauberes Wasser oder Strom", berichtet er. Trotzdem versuchen monatlich weitere tausende Iraker in die Nachbarländer zu gelangen.
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Denn das anhaltende Morden, die Entführungen und Anschläge haben einen Massenexodus aus dem Zweistromland ausgelöst: Rund 1,2 Millionen Iraker suchten bisher in Syrien Zuflucht, 750.000 fanden in Jordanien Aufnahme. Und die beiden Staaten bekommen zusehends die Konsequenzen der irakischen Diaspora zu spüren. Denn die Ressourcen werden immer knapper und die Preise steigen - so sind in der jordanischen Hauptstadt Amman Immobilien innerhalb eines Jahres um bis zu 50 Prozent teurer geworden.
Der Konsul der jordanischen Botschaft in Wien, Ghaith Malhas, berichtet der "Wiener Zeitung", dass es seinem Land immer schwerer fällt, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. "Wir haben wenig Wasser", sagt er. "Daher ist für uns ein Glas Wasser so wertvoll wie ein Barrel Öl. Und nun stellen Sie sich vor: Plötzlich müssen Sie noch einmal hunderttausende Menschen mit Wasser versorgen."
"Die Hilfe ist am Kollabieren", warnt daher Roland Schönbauer vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Die UN-Organisation organisiert daher eine Konferenz zu den Irak-Flüchtlingen, die heute, Dienstag, beginnt. Teilnehmen werden Minister, Regierungsvertreter und verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen, insgesamt werden 450 Gäste aus 60 Ländern erwartet.
Das UNHCR verweist im Vorfeld darauf, dass Syrien und Jordanien bisher Großes geleistet haben, aber zusehends internationale Unterstützung brauchen. Und auch für die rund zwei Millionen Binnenflüchtlinge, die im Irak selbst vertrieben sind, werden dringend mehr Mittel benötigt. Denn die Zahl der Vertriebenen wächst aufgrund der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten und der Säuberungen ganzer Stadtviertel durch Milizen pro Monat um 40.000.
Geteilte Verantwortung Die internationale Hilfe soll daher bei der Konferenz erweitert und besser vernetzt werden. Zudem soll die Verantwortung für die Flüchtlinge von der Internationalen Gemeinschaft geteilt werden.
Die EU hat kürzlich 10,2 Millionen Euro an Hilfsleistungen für die irakischen Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, die USA 18 Millionen Dollar. Für Kritiker ist dies jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zum Vergleich: Washington gibt wöchentlich rund zwei Milliarden Dollar für seinen Militäreinsatz im Irak aus.
Allerdings haben sich die Vereinigten Staaten bereit erklärt, 7.000 irakische Flüchtlinge in ihr Land zu lassen. "Das ist gerade einmal ein Prozent der Anzahl, die wir aufgenommen haben", reagierte darauf der jordanische Regierungssprecher Nasser Judeh.
Doch für das UNHCR ist das ein erstes positives Zeichen. Die Organisation hofft, dass für weitere 20.000 aus dem Irak in die Nachbarländer Geflohene Neuansiedlungsplätze in Drittstaaten gefunden werden können. Diese sollen besonders betroffenen Gruppen zugute kommen. Dazu gehören Folteropfer oder Minderheiten wie Palästinenser oder Christen.
Bei diesen Neuansiedelungen zählt das UNHCR besonders auf die EU: Einige Länder hätten bereits positive Signale gegeben, heißt es dazu aus dem Büro von EU-Justizkommissar Franco Frattini. Doch bisher führt in der EU nur Schweden tatsächlich Neuansiedelungen durch.
Zudem akzeptiert Stockholm im Moment mehr als die Hälfte aller Asylgesuche von Irakern, die auf verschiedenen Routen - und oft unter der Zuhilfenahme von Schleppern - schon nach Europa gelangt sind. Der schwedische Einwanderungsminister Tobias Billström hat erst kürzlich die EU-Staaten aufgefordert, "die Verantwortung, Flüchtlingen Schutz zu bieten, zu teilen." Und er ist damit auf einer Linie mit den Forderungen des UNHCR, das einen einheitlichen Schutz auf hohem Niveau fordert.
Aber bisher gehen die Länder der Europäischen Union sehr unterschiedlich mit den irakischen Flüchtlingen um und viele zeigen bei weitem nicht die Großzügigkeit Schwedens. So endeten in Großbritannien, das im Irak engagiert ist, im Jahre 2006 von 735 Asylentscheidungen zu Irakern nur 85 positiv. In Österreich wurden hingegen 74 Prozent ein Schutzstatus zugesprochen. 2006 suchten hierzulande 380 Iraker um Asyl an.
Insgesamt beantragten 22.200 Iraker vergangenes Jahr Asyl in der EU - das bedeutet eine Steigerung um 77 Prozent zum Vorjahr. Für 2007 werden gar 40.000 Iraker erwartet. Doch sind diese Zahlen im Vergleich mit Syrien und Jordanien noch immer gering. Für diese Länder soll bei der Konferenz eine humanitäre Antwort auf die sich zuspitzende Krise gefunden werden.
Kinder ohne Schule
Das bedeutet etwa Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zu Schulen für die irakischen Flüchtlinge. Denn allein in Syrien sind 30 Prozent der 540.000 schulpflichtigen irakischen Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen. UNHCR plant daher, bis zu 100 Schulen neu einzurichten.
Man setzt hier also nicht nur auf kurzfristigen Schutz, sondern auch auf langfristige Hilfsprojekte. "Eine freiwillige Rückkehr der Iraker ist momentan nicht realistisch", sagt Schönbauer. "Wir können nicht so tun, als würde sich das Land am Vorabend seiner Befriedung befinden."
Doch spießt sich hier der Standpunkt der UN-Organisation etwa mit dem der jordanischen Regierung, erklärt Joost Hiltermann von der International Crisis Group. "Jordanien möchte den irakischen Flüchtlingen nicht den Eindruck geben, dass sie bleiben könnten", sagt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Denn die Regierung in Amman fürchtet, dass dies noch mehr Menschen ins Land ziehen würde."
So hofft auch Konsul Malhas auf mehr internationale Hilfe, doch verlangt er gleichzeitig "eine politische Lösung für den Irak, damit die Menschen in ihr Land zurückkehren können."
Doch dort ist keine Besserung der Lage in Sicht. Allein im März dieses Jahres gab es mehr als 3000 zivile Opfer der Gewalt.
Vom Krieg aus dem Irak nach Damaskus verweht