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Die Hisbollah und die Revolution

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

In der schiitischen Miliz scheint man zu begreifen, dass die Revolte, die den Nahen Osten aufwirbelt, auch die eigene Lage verändert hat.


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Wer zur Hisbollah will, biegt von der Straße zum Beiruter Flughafen links ab, gleich nach der Reklamefläche, von der Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad verhalten den Autofahrern zuwinkt. Diese Gegend wird die "südliche Vorstadt" genannt: Es ist die Hochburg der schiitischen Miliz, das Hauptquartier der Gruppierung, die gegenwärtig den stärksten Block in Libanons Parlament stellt.

Die Lage ist, gelinde ausgedrückt, außergewöhnlich: Die libanesische Regierung wird von einer Organisation beherrscht, die USA und Israel als terroristisch einstufen. Damit noch nicht genug, ermöglicht die Hisbollah ihren Förderern im Iran Zugang zu einem mediterranen Brückenkopf, gleich neben der eigenen Festung.

Die Hisbollah erinnert an ein Schattenspiel: Die wirklichen Aktionen finden immer im Verborgenen statt. Um Macht geht es der Hisbollah, und ihr militärischer Flügel, der darauf besteht, lediglich eine Widerstandseinheit gegen die israelischen Truppen im Süden zu sein, ist stärker als die gesamte libanesische Armee. Einerseits. Andererseits will die Hisbollah aber nicht die Verantwortung, die ihrer Macht entspräche, übernehmen.

Vorige Woche war ich beim Top-"Diplomaten" der Hisbollah, Ammar al-Mousawi, und traf mehrere andere Hisbollah-Vertreter. Da mein Besuch jedoch als "inoffiziell" gilt, darf ich nichts wörtlich zitieren und keine Namen nennen. Aber die Gespräche ermöglichten mir einen Einblick in das Denken des härtesten Spielers der weltweit härtesten politischen Liga.

In der Hisbollah scheint man zu begreifen, dass die Revolte, die den Nahen Osten aufwirbelt, auch die eigene Lage verändert hat. Die Hisbollah-Vertreter schauen zu, wie die arabische Welt auf mehr Demokratie und Pluralismus zusteuert. Vor diesem Hintergrund will die Hisbollah nicht als sektiererische und zerstörerische Miliz gesehen werden, sondern als demokratischer Partner, wenn auch als ein sehr potenter, der über tausende auf Israel gerichtete Raketen verfügt. Da Tunesien, Ägypten und Libyen sunnitische Länder sind, können die jüngsten Ereignisse teils als sunnitischer Aufschwung interpretiert werden, den die Hisbollah respektieren muss.

Jeder Verantwortung versucht die Hisbollah so sehr aus dem Weg zu gehen, dass ihre Vertreter mir gegenüber sogar die zutreffende Beschreibung der neuen Regierung als "von der Hisbollah kontrolliert" ablehnten. Aber sieht die Hisbollah nach den revolutionären Ereignissen in der Region nicht Tore zum Westen sich öffnen? Ist ein Neustart für die arabische Welt möglich, der eine schrittweise Annäherung mit Ländern wie den USA erlauben würde?

Viel Begeisterung für diese Idee habe ich nicht zu hören bekommen, aber die Hisbollah stellt sich zumindest nicht gegen die Fortsetzung der militärischen Zusammenarbeit zwischen Libanon und USA. Ganz im Gegenteil sollte die libanesische Armee laut Hisbollah vielleicht sogar mehr US-Waffen haben, wie man mir schelmisch mitteilte, obwohl klar ist, dass es dazu niemals kommen wird, solange die Hisbollah die stärkste politische Kraft im Land ist.

Die Hisbollah ist ein skrupelloser politischer Akteur. Es wäre aber ein Fehler, die Finesse ihrer Taktik zu unterschätzen. Ihre Vertreter bestehen darauf: Egal, wie der Westen darüber denkt - die Schiiten-Miliz ist "logisch" (sprich: eigennützig) beim Verfolgen ihrer Ziele. Aber sogar der so logischen Hisbollah scheint es nicht zu entgehen, dass auch ihr "Widerstand" in dieser Zeit des Umbruchs in der arabischen Welt nachjustiert werden muss.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung