Wifo-Chef Aiginger sieht sich weder auf dem linken noch dem rechten Pfad.
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Wien. Das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat kürzlich einen ebenso prestigeträchtigen wie lukrativen Auftrag an Land gezogen: Das Wifo koordiniert in den nächsten vier Jahren ein EU-Forschungsprogramm von 33 Instituten für ein umfassendes europäisches wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Modell. Und zwar als Gegenentwurf zum chinesischen und zum amerikanischen Modell. Von den 8 Millionen Euro Gesamtkosten entfallen auf das Wifo mehr als 1,5 Millionen. Erste Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen.
Dieser Auftrag, laut Wifo-Chef Karl Aiginger das wichtigste sozioökonomische Forschungsprogramm der EU, ist ein Stück gelungener Strategie des Wifo und nicht der erste Erfolg auf EU-Ebene: "Wir schreiben auch den Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie für die EU-Kommission." Von diesen internationalen Arbeiten profitiere auch Österreich. Eine wachstumsorientierte Konsolidierung, also eine Budgetsanierung, ohne dabei Wachstumsimpulse aus den Augen zu lassen, wäre ohne internationale Studien nicht möglich gewesen. "Für die zahlt in Österreich niemand, aber die Ergebnisse sind wichtig für die österreichische Politik", sagt Aiginger.
Stichwort Politik: Aiginger sieht sich weder auf dem linken noch auf dem rechten Pfad, weder als Prophet der reinen Marktwirtschaft noch als Befürworter massiver staatlicher Intervention. Aber der Staat müsse in eine Marktwirtschaft eingreifen: "Eingriffe für mehr Beschäftigung, für mehr Wettbewerbsfähigkeit, die sind weder links noch rechts." Aiginger tritt für eine proaktive Wirtschaftspolitik ein.
"Viele Vorschläge" realisiert
Fühlt er sich von den Trägern des Wifo, also den Sozialpartnern und der Regierung, ausreichend unterstützt? Immerhin soll ja die Industriellenvereinigung (IV) die Zuwendungen an das Wifo wegen "linker" Tendenzen gekürzt haben. Aiginger: "Alle unsere Arbeiten sind in die Sozialpartnerschaft eingebunden. Wenn wir wissen, dass eine Studie den Interessen eines Sozialpartners widerspricht, sagen wir ihm, warum wir dieser oder jener Ansicht sind. Wenn es Punkte gibt, die auf Widerspruch stoßen, versuchen wir klarzumachen, dass es unterm Strich mehr Punkte gibt, die Nutzen stiften."
Und das Verhältnis zur Regierung? "In den sieben Jahren, in denen ich Chef dieses Hauses bin", so Aiginger, "sind viele unserer Vorschläge verwirklicht worden, es dauert nur immer länger, als man hofft." Und wie sieht der Wifo-Chef die Gründung des neuen Wirtschaftsforschungsinstitutes "EcoAustria" durch IV-Gelder? Aiginger gibt sich gelassen, ist das Wifo mit einem Budget von 12 Millionen Euro und mit 130 Mitarbeitern doch das größte im Land, während "EcoAustria" mit ganzen fünf Wissenschaftern erst beginnt. Das Arbeitsgebiet von "EcoAustria" sei beschränkt, so Aiginger: "Öffentliche Finanzen im weiteren Sinn, da gibt es in Österreich noch nicht allzu viel Forschung, wir werden wahrscheinlich mit ihnen ebenso oft kooperieren wie konkurrieren."
Starthilfe für "EcoAustria"
"EcoAustria"-Chef ist Ulrich Schuh, bis Ende 2011 Abteilungsleiter im Institut für Höhere Studien (IHS). "Das IHS steht gut da, die Abteilung steht gut da, ich konnte ruhigen Gewissens gehen", so Schuh, und: "Es ist Tradition, dass man dort nicht ewig bleibt, auch mein Vertrag war befristet." Zwei Kollegen habe er aus dem IHS mitgenommen, die bereits Projekte für die EU-Kommission abgewickelt haben. Zwei weitere junge Ökonomen habe er zusätzlich engagiert.
Und die Rolle der IV? "Wir haben die nötige Starthilfe bekommen, für die nötige Infrastruktur", sagt Schuh, "aber wir haben mit der Industriellenvereinigung keinen Exklusivvertrag, wir müssen uns am Markt bewähren." "EcoAustria" bietet seine Dienste öffentlichen Institutionen, Ministerien oder Sozialpartnern ebenso an wie Großfirmen, und man werde sich an Ausschreibungen in Europa beteiligen. Der Bedarf an qualitativ hochwertiger Beratung sei gerade in unsicheren Zeiten im Steigen, meint Schuh. Der frischgebackene Unternehmer, dem es schon vor seiner Zeit beim IHS an seinem ersten Arbeitsplatz im Finanzministerium zu eng wurde, sieht daher gute Chancen.
Dass Schuh die Unterstützung der IV nicht gerade durch Kapitalismuskritik für sich gewinnen konnte, liegt nahe. "Sicherlich bin ich zunächst Marktwirtschaftler", sagt er von sich, aber: "Es ist wichtig, dass man vorurteilsfrei an die Themen herangeht, nicht versucht, krampfhaft Thesen zu untermauern, sondern nüchtern Daten sammelt, analysiert, eine Hypothese aufstellt, sie aber auch verwirft, wenn sie sich als falsch herausstellt." Dabei legt Schuh besonderen Wert auf Verständlichkeit. Es sei die Pflicht der Forscher, jenen, die sie bezahlen, auch Ergebnisse zu liefern, die sie verstehen können und nicht im Elfenbeinturm zu verharren. Langfristige Folgenabschätzung von Entscheidungen für die Volkswirtschaft sei einer der Schwerpunkte, betont Schuh. Ein Know-how, das er an seiner früheren Wirkungsstätte, dem IHS, kennen und anwenden gelernt hat. Es ist die Methode der Allgemeinen Gleichgewichtsmodelle, mit denen die Effekte von wirtschaftlichen und politischen Veränderungen mit all ihren Wechselwirkungen und Rückkopplungen prognostiziert werden. Das IHS hat beispielsweise ausgerechnet, wie bestimmte Steuererhöhungen in einer Reihe von Jahren das Verhalten der Menschen ändern, das Wachstum bremsen und damit die erwarteten Mehreinnahmen zusammenschmelzen lassen.
"Wir sind keine Politiker"
IHS-Chef Bernhard Felderer verweist zum Abgang Schuhs kühl auf die Größenordnungen: rund neun Millionen Euro Budget, mehr als 100 Mitarbeiter, drei Viertel arbeiten an bezahlten Projekten, den Rest finanziert die Regierung. "Wir werden keine Schwächen haben, wenn Schuh diese Modelle mitgenommen hat", so Felderer. Das IHS hat weitere Pfeile im Köcher: etwa das sogenannte Erreichbarkeitsmodell als Entscheidungshilfe für die Verkehrspolitik und den Ausbau der Infrastruktur: Wie ist etwa die Region Osttirol von den Regionen Bratislava oder München oder Bozen aus erreichbar? Welche Verbindungen davon sind für welche Wirtschaftszweige besonders wichtig? Wie lange braucht man mit welchem Verkehrsmittel?
"Natürlich kommt so etwas wie eine politische Aussage heraus, wenn wir etwa die langfristigen volkswirtschaftlichen Effekte von Tunnelprojekten voraussagen", so Felderer, aber: "Wir sind keine Politiker und wollen auch keine sein. Wir sind bestenfalls Berater." Felderer verweist auf den Doppelcharakter des IHS von angewandter Wirtschaftsforschung und Beratertätigkeit auf der einen Seite sowie - auf der anderen Seite - von postgraduierter akademischer Ausbildung für Ökonomen, Soziologen und Politologen in Zusammenarbeit mit Universitäten.
Für Felderer ist die Marktwirtschaft jener wissenschaftliche Mainstream, dem auch das IHS folgt. Felderer: "Wer soll entscheiden, wo investiert wird, wenn nicht der Markt, wer soll entscheiden, wohin die besten Arbeitskräfte gehen sollen? Es gibt ja enorm viele Versuche, den Markt zu ersetzen durch geplante, und zwar hochintelligent geplante Systeme. Ich war selbst 1977 sieben Monate in der Sowjetunion. Die Mathematiker, die ich da getroffen habe, haben mich beeindruckt. Aber ich konnte auch Einblick kriegen, wie es wirklich passiert, und das war unglaublich. Das reine Chaos."
Seinen Nachfolger Christan Keuschnigg, der sein Amt im Juni antritt, lobt Felderer in höchsten Tönen: Keuschnigg habe früher am IHS entscheidend zur Entwicklung der heute angewandten Allgemeinen Gleichgewichtsmodelle beigetragen.