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Die Hoffnung liegt in der EU

Von Mohamed Chakir

Europaarchiv

Reportage: "Erst hier habe ich meine menschliche Würde wiedererlangt." | Melilla. (afp) Mohamed Moussa Camara gehörte zu den Verzweifelten, und er hat es geschafft. Gemeinsam mit hunderten anderen Flüchtlingen stürmte der junge Malier den Grenzzaun, der die spanische Exklave Melilla von Marokko trennt. Jetzt wartet er darauf, sich im Flüchtlingszentrum als Asylbewerber registrieren zu lassen.


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"Ich habe furchtbar gelitten, doch nun habe ich endlich diese geweihte spanische Erde erreicht", sagt der 21-Jährige, der nach der Flucht aus der Heimat mehrere Jahre auf der Straße lebte. Doch Camaras weiteres Schicksal ist ungewiss: Madrid verhandelt bereits mit der malischen Regierung über eine Rückführung der Flüchtlinge.

Davon will Camara an diesem Morgen nichts wissen. Sichtlich müde aber überglücklich steht er inmitten seiner Schicksalsgenossen und erzählt seine abenteuerliche Geschichte. Vor drei Jahren hat der ehemalige Profifußballer seine Familie verlassen, die in einem Vorort 20 Kilometer nördlich der malischen Hauptstadt Bamako lebt. "Ich habe geweint, als ich meine Eltern zurücklassen musste. Doch ich konnte dieses Elend, die Arbeitslosigkeit und die Krankheiten nicht mehr ertragen", sagt der junge Mann. "Ich wollte nach Europa, koste es, was es wolle."

Dreijährige Odyssee

Das zu 65 Prozent aus Wüste und Halbwüste bestehende Mali gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Teile des ostafrikanischen Sahellands mit seinen rund elf Millionen Einwohnern werden regelmäßig von Hungersnöten heimgesucht, die Arbeitslosenquote ist hoch.

Um den katastrophalen Verhältnissen zu entfliehen, hat Camara eine wahre Odyssee auf sich genommen. Von Mali schlug er sich durch die Wüste zuerst nach Libyen durch und reiste über Algerien illegal nach Marokko ein. Wie viele Nächte er unter freiem Himmel verbracht hat, kann er nicht mehr sagen. Er habe gehungert, sich von Unkraut und Müll ernähren müssen, erzählt der junge Mann, dem die Erinnerung nun doch die Tränen in die Augen treibt. "In der Wüste bin ich zum Tier geworden. Erst hier in Melilla habe ich meine menschliche Würde wiedererlangt."

Besonders in Algerien, berichtet Camara, sei er mehrfach angegriffen und bestohlen worden. In Marokko saß er öfter im Gefängnis, "die Korruption war schlimm". Wenigstens in Libyen habe er einen Job in einem öffentlichen Park gehabt, "da wurde ich gut bezahlt". Ansonsten musste der Mann mit dem bisschen Geld auskommen, das seine Mutter ihm beim Abschied gegeben hatte und das ihm sein legal in Italien lebender Bruder schickte.

Vor wenigen Tagen habe er dann endlich Nador erreicht, die auf marokkanischem Territorium liegende Nachbarstadt Melillas. "Nach drei Jahren Reise habe ich es gleich beim ersten Versuch geschafft rüberzukommen. Das ist doch ein Rekord, oder?" sagt Camara lächelnd. Jetzt will er vor allem seinen Bruder sprechen: "Wissen Sie, ob es hier ein Telefon gibt?" fragt er noch, bevor er zur Behandlung seiner am Stacheldrahtzaun verletzten Hand im Zelt des Roten Kreuzes verschwindet.