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Die Hoffnung stirbt zuletzt

Von Reinhard Seiß

Politik

Was wurde aus der Gasometer City und ihrem Umfeld? Immerhin war hier ein blühender Stadtteil versprochen worden. 20 Jahre später wirkt kein "Zukunftsstandort" Wiens desperater. Analyse eines Stadtplaners.


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Auf dem Areal des westlichen und südlichen Gasometervorfelds im 3. und 11. Bezirk wird ein neuer Stadtteil mit einem für Wien einzigartigen Charakter entwickelt. Entstehen soll ein vielfältiger, urbaner und belebter Stadtteil, in dem ein optimales Mit- und Nebeneinander von Arbeiten und Wohnen möglich ist", verheißt die Ausschreibung des Rathauses für den städtebaulichen Wettbewerb "Gasometervorfeld 2.0", den das Büro BWM in diesem Frühjahr für sich entscheiden konnte. Der ehrenwerte Entwurf der Architekten ist bemüht, auf den verbliebenen Restflächen um die denkmalgeschützten Gasometer jenem Wildwuchs, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten hier Platz gegriffen hat, doch noch einen Sinn zu geben. Denn tatsächlich ist der "neue Stadtteil mit einem für Wien einzigartigen Charakter" und einem "vielfältigen Mit- und Nebeneinander" bereits Realität: Unvergleichlich ist schon heute das zusammenhanglose Durcheinander egomanischer Einzelprojekte im Stadtentwicklungszielgebiet Erdberger Mais.

Wenn in dem alten Gartenbau- und Gewerbegebiet im Schatten der Stadtautobahn A23 eine planerische Konstante ablesbar ist, dann jene urbanistischer Heilsversprechen, die allesamt von der realen Entwicklung konterkariert wurden. Wobei die Planungspolitik höchstselbst dafür verantwortlich ist, zumal sie mit großer Konsequenz singuläre Bauvorhaben genehmigte und genehmigt - ohne jede Rücksicht auf mittelfristige Gesamtkonzepte. Was ist uns nicht alles weisgemacht worden, seit 1999, ausgelöst durch die Verlängerung der U-Bahn-Linie 3, mit dem Umbau der vier leerstehenden Gasbehälter begonnen wurde. Die 72 Meter hohen Hinterlassenschaften gründerzeitlicher Ingenieursbaukunst sollten dank zeitgenössischer Architekten wie Jean Nouvel und Coop Himmelb(l)au zu einem "europaweit einzigartigen Gesamtkunstwerk" werden, sollten Ausgangspunkt und Zentrum eines neuen, natürlich "urbanen" Stadtteils sein - und als identitätsstiftende Wahrzeichen in Wiens Silhouette den Umbruch seines Südostens symbolisieren.

Erstes gescheitertes EKZ Wiens

Aus der angestrebten Architektursensation "Gasometer City" wurde ein denkmalpflegerisch wie ökonomisch fragwürdiges Immobilienprojekt mit 615 hochsubventionierten Wohnungen, einem Studentenheim zwecks Auslastung ansonsten unvermietbarer Apartments, mit Büro- und Magistratsnutzungen, einer Konzerthalle, einer Garage mit 1200 Stellplätzen sowie einer alle vier Gasometer durchlaufenden, 450 Meter langen Shopping Mall mit 22.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Durch einen Glassteg angedockt wurde noch der Pleasure Dome von Architekt Rüdiger Lainer: Wiens erstes "Urban Entertainment Center" mit zwölf Kinosälen, zahlreichen Restaurants und Amüsements sowie weiteren 840 Stellplätzen. Schon nach wenigen Jahren erwies sich der gesamte Konsumbereich als einziger Flop. Der rasch heruntergekommene Pleasure Dome steht vermutlich nur noch, weil die darunterliegende Parkgarage rentabel ist - und die in weiten Teilen brachliegende Shopping Mall gilt als erstes gescheitertes Einkaufszentrum Wiens.

Schräge Wände ohne Sinn

Mitgrund für den bedrückenden Leerstand ist wohl auch, dass sich das Umfeld deutlich weniger attraktiv entwickelt hat als gewünscht. Ein neues Zentrum, in das man auch aus anderen Teilen Wiens freiwillig fährt, sieht definitiv anders aus. Nördlich der Gasometer, jenseits der zweispurig verparkten Guglgasse, schließen - abgesehen vom maroden Pleasure Dome - zunächst baublockgroße Bürokomplexe an, deren Konzeption keinerlei Urbanität generiert. Dahinter wiederum reihen sich hochverdichtete Wohnblöcke aneinander, die - zumindest bislang - ebenfalls nur Ödnis verbreiten. Zudem berauben die wuchtigen Kuben mit bis zu zwölf Geschoßen die Gasometer auf dieser Seite weitgehend ihrer beschworenen "Landmark"-Funktion.

Auf der Südseite geht es - derweil noch - weniger dicht zu. Hier flankieren erst fünf grüne Wohnhäuser die backsteinernen Baudenkmäler und bemühen sich, durch schräge Wände ohne Sinn und Zweck sowie wirr versetzte Fenster ebenfalls als architektonische Besonderheit zu wirken. Weniger Aufhebens wurde von den Grünflächen um die fünf Solitäre herum gemacht. Sie sind in ihrer Ideen- und Lieblosigkeit bezeichnend für das aktuelle Niveau der Freiraumplanung im Wiener Wohnbau. Geradezu entsetzt muss man über die Gestaltqualität des Bereichs zwischen den schiefen Wohntürmchen und den Gasometern sein: Trotz Tiefgaragen hüben wie drüben ist den dafür Verantwortlichen nichts Besseres eingefallen, als die gesamte Fläche zu asphaltieren, durch unsägliche Felsbrocken zu "strukturieren" und von parkenden Autos verstellen zu lassen. Ein unwürdigeres Umfeld für die an sich beeindruckenden Zeugnisse historischer Industriearchitektur ist gar nicht vorstellbar.

Auf der Westseite schließlich hat die Stadt selbst als Bauherr dazu beigetragen, die städtebauliche Einbettung der Gasometer bestmöglich zu verhunzen. Die entfernt an Sichtziegelmauerwerk erinnernde Fassade des Bürokomplexes von "Wiener Wohnen" mag zwar als Reminiszenz an die 120 Jahre alte Backsteinarchitektur vis-à-vis gemeint sein, sie macht die Grobschlächtigkeit des baublockgroßen Kolosses aber in keiner Weise wett. Seine Unmaßstäblichkeit noch relativieren könnte freilich das am selben Baufeld geplante Hochhaus "Gate 2". Immerhin soll der laut Architekturfeuilleton "schlanke, hohe Zuwachs für die Gasometer" 120 Meter messen, wobei "schlank" bei einem Gebäude solcher Höhe - insbesondere was seine Anmutung zu ebener Erde betrifft - doch sehr stark Ansichtssache ist. Fest steht hingegen, dass der Büroturm der holländischen Architekten MVRDV die Gasometer endgültig als "Landmarks" im Bereich Erdberger Mais - St. Marx ablösen wird.

Konkurrenzlos wird aber auch das "Gate 2" nicht bleiben. Denn am Baufeld schräg gegenüber entstehen seit wenigen Wochen "The Marks" mit dem unüberlesbaren Anspruch, sich ebenfalls als Landmarken in Wiens Immobiliensilhouette einzuschreiben. Die drei Wohntürme mit 109, 114 und 126 Metern ermöglichen dem Eigentümer des benachbarten Büro- und Gewerbecenters MGC eine hochprofitable Nachnutzung seines einstigen, heute überdimensionierten Parkplatzes - der, um dem Standort das Image einer Asphaltwüste zu nehmen, seit einiger Zeit als "MGC Plaza" firmiert.

Das Rathaus preist das Bauvorhaben als Beitrag, um den Bedarf an leistbaren Wohnungen zu decken - noch dazu unweit einer U-Bahn-Station. Selten erwähnt wird indes, dass die 1000 Wohneinheiten inmitten eines Gewerbegebiets, unmittelbar neben der Autobahnabfahrt St. Marx errichtet werden. "Mut zur Stadt" fordern daher die verantwortlichen Planer ein, als sei das schlimmst mögliche Wohnumfeld genau die richtige Herausforderung für den metropolitanen Wiener von morgen. Und auch die Wohnbauträger suggerieren mit Slogans wie etwa "Urban Leben mit Aussicht", dass mit der Sprödheit eines Viertels auch dessen Urbanität steige - egal, ob die Aussicht nur bis zum Autobahnviadukt der Südosttangente oder doch darüber hinaus reicht.

Dieses eigenwillige Verständnis von Stadt drückt sich allerorts um die Gasometer herum aus, wobei gerade für das südwestliche Vorfeld, für das nun ein neuer Masterplan geschmiedet wurde, 2003 noch ganz andere planungspolitische Ziele bestanden. So sollte hier "mit qualitativ hochwertiger Architektur, ausreichender sozialer Infrastruktur, einem zentralen Park mit einem großzügig angelegten Teich als Kernstück einer Freizeit- und Erholungslandschaft, Fuß- und Radwegen sowie kulturellen und freizeitbezogenen Einrichtungen ein neuer Bezirksteil entstehen, der sowohl für die bereits ansässigen Bewohnern als auch für neu zuziehende Menschen ein attraktives Lebens- und Arbeitsumfeld sowie ein neues Naherholungsgebiet schafft".

Banale Wohnungsneubauten

Verwirklicht werden sollte dieses städtebauliche Wunschkonzert mit dem Titel "Mehrwert Simmering" durch eine Public Private Partnership: Das Rathaus wollte potenzielle Bauträger dazu anhalten, einen Teil ihres durch Umwidmung entstehenden Planungsgewinns, konkret 145 Euro pro Quadratmeter Bauland, als Schenkung an die Stadt Wien abzuführen. Damit beabsichtigte die öffentliche Hand, besagtes paradiesisches Umfeld herzustellen und so - als Benefit für die Investoren - auch deren Neubauten in ihrem Wert zu steigern. Aufmerksame Beobachter der Wiener Planungspolitik wird es kaum überraschen, dass daraus nichts geworden ist und sich bis heute weder ein "städtebauliches Rückgrat" noch eine "boulevardartige Geschäftsstraße" zwischen den Gasometern und dem Bezirkszentrum Simmering abzeichnet.

Stattdessen wird das südwestliche Gasometervorfeld geprägt von banalen, monofunktionalen Wohnungsneubauten und großmaßstäblichen, unausgelasteten Büroneubauten, von alten, teils brachliegenden Gewerbeobjekten und einem relativ neuen städtischen Mistplatz - sowie von seit längerem verwilderten oder erst vor kurzem verunstalteten Freiräumen. Auch die Public Private Partnership nahm eine ganz andere Form an, als ursprünglich geplant: Nicht die privaten Investoren tun etwas für die Allgemeinheit, sondern die öffentliche Hand federt die Spekulationsverluste der Immobilienwirtschaft ab. Während die MA 67 (Parkraumüberwachung) zeitweise den Leerstand im MGC Office Park milderte, dient das städtische "Wohnservice Wien" als Nachnutzung des nur kurze Zeit hippen Bürobauses "Adler & Ameise" in der Guglgasse. Schließlich findet sich im chronisch um Auslastung ringenden "Marximum" in der Modecenterstraße ebenso wie in dem kürzlich von Pricewaterhouse Coopers aufgegebenen Bürohaus in der Erdbergstraße "Wiener Wohnen" als willkommener Mieter wieder - obwohl dessen erst jüngst errichtete Zentrale neben den Gasometern alle Bereiche der städtischen Wohnhausverwaltung unter einem Dach vereinen sollte.

Angstraum

Seinen bisherigen Tiefpunkt erreicht der "mutige" "urbane" Mix im direkten Anschluss an "The Marks", wo derzeit in unmittelbarer Nähe zur hier zehnspurigen Südosttangente in extremer Verdichtung elfgeschoßige Massenwohnbauten zwischen Gewerbebetriebe, einen Baumarkt und eine neu errichtete Self-Storage-Halle hineingezwängt werden. Die dazwischen verlaufende Leopold-Böhm-Straße würde andernorts selbst untertags als Angstraum gelten. Es ist geradezu ein Hohn, dass sich das Rathaus mit Verweis auf die Seestadt Aspern und einige wenige weitere Vorzeigeprojekte nun schon seit Jahren einer neuen Planungskultur rühmt, während es in einem anderen, einst gehypten planungspolitischen Zielgebiet bis heute eine Entwicklung erlaubt, die ohne jedwede Stadtplanung nicht schlimmer sein könnte.

Reinhard Seiß studierte Raumplanung und Raumordnung an der Technischen Universität Wien (Dr. techn.) und arbeitet als freier Planer und Berater, Fachpublizist und Filmemacher in Wien.