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Die Honecker-Lösung

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken ist außenpolitischer Redakteur in Bremen.

Bashar al-Assad muss früher oder später Syrien verlassen. Er ist zum Gefangenen der von ihm selbst entfachten Kriegswirren geworden.


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Dem syrischen Despoten Bashar al-Assad bleibt nur noch die Honecker-Lösung, das Asyl in Russland, will er nicht das Schicksal Muammar Gaddafis in Libyen erleiden. Damaskus droht ausländischer Aggression mit dem Einsatz von chemischen Waffen. Die Menschen flüchten in Scharen in den Libanon, in den Irak und in die Türkei. Der Aufstand verlagert sich immer mehr ins Machtzentrum des Regimes, nach Damaskus. Die alte Führung besteht nach dem jüngsten Anschlag faktisch nicht mehr, Assad ist abgetaucht, und die Welt zittert vor dem ungeheuren chemischen und vermeintlichen biologischen Waffenarsenal, das in syrischen Bunkern lagert, dem größten im Nahen Osten. Wird es gegen die Aufständischen eingesetzt - denn der Aufruhr ist nach Assads Lesart vom Ausland gesteuert -, träfe dies auch die Bevölkerung. Oder gerät es nach Assads Sturz in falsche Hände? Apokalyptische Varianten für den Nahen Osten.

Vor diesem Drohpotenzial wird deutlich: Der Zeitpunkt für eine militärische Intervention ist überschritten, auch wenn Israels Regierung darüber nachdenkt, das Arsenal an chemischen und biologischen Waffen militärisch zu sichern. Der Erfolg wäre zweifelhaft. Denn das einende Band des Widerstandes ist vom Konflikt der Religionen untereinander zerrissen worden. Es geht schlicht um die Macht danach. Das Fell des Bären ist bereits aufgeteilt; Das ist Ausdruck einer realistischen Einschätzung der Lage und zugleich Ausdruck einer überbordenden Siegesgewissheit der Aufständischen. Und die ist begründet, blickt man auf den Zerfall der Strukturen Syriens. Der Despot ist schachmatt, der letzte Zug wird nur hinausgezögert, um den unabänderlichen Wandel in der Region so lange wie möglich beeinflussen zu können. Assads tragische Rolle besteht darin, als Reizfigur den Konflikt so lange wie möglich in Gang halten zu müssen, damit das Nach-Bürgerkriegs-Syrien in einem feingliedrigen Manipulationsgeflecht externer Interessen verfangen ist. Russland, China, Israel wie auch der freie Westen versuchen durch Fakten eine Syrien- und damit Nahost-Politik à la carte zu schaffen. Und hierfür ist Zeit nötig - Zeit, die ihnen nur Assad verschaffen kann, solange er in Syrien ist.

Assad Bewegungsmöglichkeiten sind gleich null. Nur in Moskau wird ihm noch eine Tür aufgehalten. Fällt die zu, sitzt er in der Falle, und zwar im eigenen Land. Was das bedeutet, weiß auch der Despot. Er ist nicht mehr Herr der Entscheidungen. Er ist eine Marionette, ein Gefangener der Kriegswirren, die er selber entfacht hat. Der allerletzte Fluchtweg führt über die russische Marinebasis in Syrien, sollten alle Wege versperrt sein. Putin muss die Honecker-Lösung alsbald erzwingen. Es wäre ein Ende des Grauens bei voller Gesichtswahrung Moskaus.

Es ist vielleicht die letzte Chance, ein Inferno zu vermeiden, so Damaskus noch die Kontrolle über das Arsenal an chemischen und biologischen Waffen hat. Ihre Sicherstellung hat vor allen politischen Rankünen Priorität. Die Agonie des Landes ist nicht mehr aufzuhalten. Es liegt in der Logik der Fakten, die Assad-Ära zu beenden.