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Die Hürden bei Kurz' Impf-Partnerschaft

Von Alexander Dworzak und Gerhard Lechner

Politik
Sebastian Kurz (l.) bemüht sich um eine engere Corona-Kooperation mit Benjamin Netanjahu.
© / Robert Jaeger

Österreichs Bundeskanzler forciert die Absetzbewegung von der EU und eine Corona-Kooperationen mit Israel. Die Impfstoffproduktion erfolgt aber auch dort außer Landes.


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Parteipolitisch ist Israel ein Hort der Instabilität. Weil die Koalition des nationalkonservativen Likud von Premier Benjamin Netanjahu mit dem Bündnis Blau-Weiß geplatzt ist, müssen die Bürger im März zu den Urnen schreiten - bereits zum vierten Mal seit April 2019. Doch über diese Fragilität spricht derzeit international niemand. Dafür sind die Erfolge bei der Corona-Impfung in aller Munde.

Von den rund 9,3 Millionen Bürgern bekommen jene 6,4 Millionen, die älter als 16 Jahre sind, das Vakzin. 4,7 Millionen haben bereits eine Dosis erhalten, bei 3,4 Millionen Menschen wurde auch schon die zweite Dosis verabreicht. Damit übertrumpft der Mittelmeerstaat sämtliche EU-Länder um Längen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz möchte daher in Zukunft noch enger mit Israel kooperieren. Bereits seit Beginn der Pandemie unterhalten beide Länder eine lose Partnerschaft, gemeinsam mit anderen selbsternannten "First-Mover"-Staaten, darunter auch Dänemark. Kurz und seine Kopenhagener Amtskollegin Mette Frederiksen setzen sich dieser Tage von der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung in der Europäischen Union ab. Er wolle "nicht mehr nur von der EU abhängig sein bei der Produktion von Impfungen der zweiten Generation", sagte der Bundeskanzler im Vorfeld seiner Israel-Visite am Donnerstag. Netanjahu kündigte an, er werde mit Kurz und Frederiksen "eine Zusammenarbeit zur Impfstoffproduktion" besprechen.

Hohes Risiko, hohe Kosten

Derzeit verfügt Israel jedoch genauso wenig wie Österreich über eine Produktionsstätte für einen Covid-Impfstoff. Eine derartige Einrichtung lässt sich auch nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen. Aber die Regierung in Jerusalem führt bereits Gespräche mit Pfizer und Moderna über die Errichtung, Mitte Februar bestätigte sie entsprechende Meldungen. Die Vakzine beider Hersteller sind dort zugelassen.

Das Rückgrat bei der Impfung der Bevölkerung bildet dabei der Wirkstoff der Kooperationspartner Biontech und Pfizer. Impfstoff-Knappheit ist dabei ein Fremdwort. Das liegt an den besonderen Vertragsbestimmungen zwischen Israel und den Herstellern: Erstens greift Israel viel tiefer in die Tasche als die EU. Eine Dosis kostet 23 Euro, die Union gibt kolportiert zwölf Euro aus. Zweitens, Israel geht auch ein viel größeres Risiko ein und übernimmt die Haftung für etwaige Impfschäden. Der EU war es hingegen sehr wichtig, dass die Hersteller die Produkthaftung übernehmen. Zentrale Bedeutung kommt dem dritten Punkt zu: Israel liefert seinen Datenschatz an Pfizer. Wöchentlich werden Impf- und Infektionszahlen an das Unternehmen gemeldet, Angaben zu Alter und Geschlecht von Corona-Patienten.

Auch wenn die Daten anonymisiert weitergegeben werden, bilden sie eine unschätzbare Quelle. Denn sämtliche Bürger sind in einer der vier staatlichen Krankenkassen erfasst, die Krankenakten sind digital und zentral gesammelt. Das erleichtert der Regierung nicht nur die Organisation der Impfkampagne enorm. Die Konzerne erhalten auch Daten in einem Ausmaß, das sie niemals über konventionelle klinische Studien erreichen könnten. Pfizer werde sehen können, welche Auswirkungen das Impfen auf die Verbreitung des Virus, die Öffnung der Wirtschaft und das soziale Leben habe, sagte Israels Gesundheitsminister Yuli Edelstein. Und auch, welche Nebenwirkungen mit der Impfung einhergehen.

Nicht nur betagte und kranke Personen haben in Israel bereits den Corona-Impfstoff erhalten.
© reuters / Ammar Awad

Derartige Zugeständnisse würden die EU-Staaten niemals akzeptieren, viel zu unterschiedlich sind die Zugänge beim Datenschutz. Israel stand aber auch unter gewaltigem Druck. Nachdem das Land gut durch die erste Corona-Welle gekommen war, stiegen ab Sommer die Fallzahlen rapide. Der in die Kritik geratene Premier erkannte aber auch, dass ein kleines Land wie Israel als Testlabor für die Welt dienen kann. Denn laut Netanjahu könne hier "Herdenimmunität oder etwas, was ihr sehr nahe kommt, schnell erreicht werden". Und so sind die Impfstoffhersteller verpflichtet, das Vakzin bis zum Erreichen ebenjener Herdenimmunität zu liefern. Es ist ein Deal, den Netanjahu höchstselbst eingefädelt hat. Diese Manövrierfähigkeit fehlt einer Union aus 27 Ländern mit knapp 450 Millionen Einwohnern naturgemäß.

Bei der Frage nach der künftigen Impfstoffproduktion muss Israel ebenfalls keine Rücksicht auf andere Staaten nehmen. In der EU werden womöglich bilaterale Absprachen getroffen, die wiederum Verhandlungszeit bedeuten. Zudem kann Israel auf eine herausragende Biotech-Industrie bauen. Seit Jahren werden dort bahnbrechende Technologien zur Bekämpfung von Krebs oder Fettleibigkeit entwickelt. Cluster aus Universitäten, Innovationszentren und Krankenhäusern haben Jerusalem zu einem Biotech-Hub gemacht. Rund 40 Prozent dieser Firmen sind im Übrigen nicht älter als fünf Jahre. Bei Tel Aviv wiederum hat sich die High-Tech-Szene angesiedelt. Die Dichte an Start-ups, an jungen, innovativen Unternehmen, ist weltweit nirgendwo größer als rund um die Stadt am Mittelmeer.

Sicherheit versus Flexibilität

Dass Israel weltweit als Vorreiter im Bereich Forschung und Entwicklung gilt, liegt nicht nur in den hohen Forschungsausgaben von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2018. Sondern auch in der Geschichte des stets gefährdeten Wüstenlandes, das seine Existenz nicht auf natürliche Ressourcen stützen kann. "Der einzige Rohstoff, den wir haben, ist Intelligenz", wusste schon Israels erster Präsident Chaim Weizmann. Viele der unter den Nationalsozialisten vertriebenen Einwanderer waren wissenschaftlich gebildet.

Aber schon vor der Katastrophe des Holocaust und der Gründung Israels entwickelte die Hebräische Gesundheitsstation in Jerusalem Impfstoffe gegen Typhus und Cholera. In Biochemie, Mikrobiologie und Bakteriologie wurde geforscht. Diese Kultur des Wissens hat sich in Israel vererbt. Die Hierarchien in den Firmen sind heute flach, Scheitern wird - ähnlich wie in den USA - nicht als Lebenskatastrophe, sondern als Chance angesehen, dazuzulernen.

Von Israel zu lernen, scheint also nicht falsch. Schon 2020 wollte Kanzler Kurz gemeinsam mit Netanjahu Impfstoff beschaffen. Mit der Übernahme der Aufgabe durch die EU ging auch die Verpflichtung einher, nationale Alleingänge zu unterlassen. Die Sicherheit in einem großen EU-Verbund und die Flexibilität eines einzelnen Landes wie Israel wird Kurz daher auch künftig wohl kaum gleichzeitig bekommen.