Menschenrechtsexperte Nowak zu Asyl: Verstärkte Kontrollen lösen das Problem nicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Noch wagen sie sich nicht vollständig aus ihrer Deckung. Aber die Stoßrichtung ist schon seit Wochen klar: Deutschland und Österreich kommen mit ihrer Politik der offenen Grenzen nicht mehr zurecht und wollen nun doch die Grenzkontrollen verstärken. Andere EU-Länder wie Kroatien und Slowenien werden wohl mitziehen müssen, wenn sie sich nicht selbst der Asylsuchenden annehmen wollen.
Was aber sind die Auswirkungen dieser Maßnahmen? Es sei "sicherlich sinnvoll, die Grenzen besser zu schützen", meint der Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte, Manfred Nowak. Allerdings hält er es auch für eine "Illusion zu glauben, dass wir die Außengrenzen wirklich dichtmachen können". Wenn nun Länder wie Deutschland und Österreich die Grenzkontrollen verschärfen, ist absehbar, dass der Druck auf die Außenstaaten der Union wieder stärker steigt - allen voran auf das krisengebeutelte Griechenland.
Was dann, Europa?
Und was dann, Europa? Wird mit diesem Domino-Effekt, wie Außenminister Sebastian Kurz ihn befürchtet, der Druck in Richtung einer europäischen Lösung steigen? Womöglich. Denn klar ist, dass Griechenland nicht alleine die Folgekosten verstärkter Grenzkontrollen in Mitteleuropa tragen kann. Florian Trauner, Politikwissenschafter am Institut für Europäische Studien der Freien Universität Brüssel, warnt vor "Massencamps in schlecht ausgerüsteten Balkanstaaten im kalten Winter" und sieht eine "drohende Instabilität und staatliche Überforderung in Südosteuropa". Erst am Dienstag hat das Hilfswerk Save the Children auf die verzweifelte Lage der Flüchtlingskinder am Balkan aufmerksam gemacht, die eisigen Temperaturen ausgeliefert sind.
Ob die Wiedereinführung der Grenzkontrollen nun auch heißt, dass das Dublin-System, wonach ein Schutzsuchender in dem Staat um Asyl ansuchen muss, über den er die Union betreten hat, wieder voll angewendet werden soll, ist unklar. Voraussetzung dafür ist, dass die Staaten an der EU-Außengrenze ihrer Registrierpflicht wieder nachkommen - aber davor wird man sich wohl weiterhin so gut es geht hüten. Österreich trifft die Registrierpflicht jedenfalls nicht, da es kein Ersteinreisestaat ist.
Rechtlich problematisch erscheint indes eine andere Überlegung: Laut einem Bericht des "Spiegel Online" prüft Deutschland gerade die Zurückweisung bestimmter Gruppen von Schutzsuchenden an der Grenze. Auch in Österreich will Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Menschen ohne Reisepass nicht über die Grenze lassen. Diese Überlegungen könnten insofern schwierig umzusetzen sein, als die Genfer Flüchtlingskonvention eine Einzelfallprüfung vorschreibt.
"Gruppenabschiebungen oder -zurückweisungen sind aus dieser Perspektive rechtlich problematisch", sagt Trauner. Er verweist wie auch Nowak auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR): Die italienische Küstenwache hatte drei Flüchtlingsboote auf hoher See aufgegriffen und die etwa 200 Menschen an Bord nach Libyen zurückgebracht. Der EGMR entschied zugunsten der Beschwerdeführer, dass damit unter anderem das Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Massenabschiebungen verbietet, verletzt worden sei.
Rechtlich heikle Rückführung
"Auch in der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) festgeschrieben, wonach Menschen nicht in Länder geschoben werden dürfen, in denen ihnen Folter und Menschenrechtsverletzungen drohen. Nowak verweist in diesem Fall auf die Gefahr einer Ketten-Zurückweisung: Da immer wieder Fälle von Abschiebungen aus der Türkei nach Syrien bekannt werden, dürfe etwa Griechenland keine Syrer in die Türkei zurückschieben.
Am Beispiel Deutschland erklärt bedeutet das: Wenn das Land keine Asyl-Anträge von Afghanen annehmen will, könnte es dies höchstens auf Basis der Dublin-Verordnung tun, wie der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer erläutert. Massenrückweisungen aufgrund der Nationalität sind mit dem Recht auf Einzelfallprüfung und - im Fall einer Abschiebung in ein Land, in dem Folter droht - dem Refoulement-Verbot unvereinbar.
Nowak: "Solange die Menschen keine Möglichkeit haben, außerhalb der EU um Asyl oder Resettlement anzusuchen, und es ein gemeinsames Verfahren gibt, werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen."