"Die ungeheure Faszination, dass | wir ein Teil des Urknalls sind."
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"Wiener Zeitung": Beim Forum Dürnstein hielten Sie jüngst einen Vortrag zum Thema: "Der sichere Tod und die Unsicherheit des Jenseits": Das Einzige, dessen wir sicher sein können, ist, dass wir sterben - oder steckt mehr dahinter?Franz Josef Wetz: Der Tod ist gewiss, doch der Umstand, dass die genaue Stunde ungewiss bleibt, belässt uns in der Illusion, dass wir nie an der Reihe sein werden. Wir wissen immer nur abstrakt, dass wir sterben werden und denken: jetzt noch nicht, wir haben noch Zeit. Die Ungewissheit der Todesstunde wiegt uns in der wissentlichen Selbsttäuschung, nicht sterben zu müssen. Wir wissen natürlich, dass es nicht so ist, und doch leben wir so, als ob es so wäre.
Heute, da die Menschen immer älter werden, sagen viele sogar, sie hätten weniger Angst vor dem Tod als vor dem Sterben, dem Siechtum, der Apparatemedizin. Ich glaube es ihnen nicht. Eine fehlende Angst vor dem Tod ist biologisch nicht nachvollziehbar, weil in uns ein Selbsterhaltungsstreben angelegt ist, das auch in allen Tieren steckt: Denken Sie nur an die Panik des Tiers vor dem Ende. Unsere Angst vor dem Nicht-Sein ist schon allein durch dieses Selbsterhaltungsstreben gegeben. Dabei müssen wir das Leben gar nicht übermäßig lieben, um am Leben bleiben zu wollen.
Die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem "Aus", oder?
Es ist die Angst vor dem "Nicht", dem letzten dunklen Punkt, und davor, dass man nichts dagegen tun kann. Man muss etwas verlassen, an dem man hängt. Mit der Idee eines Jenseits trösten wir uns darüber hinweg - so kann man es leichter verwinden, dass man nicht mehr hier sein kann. Aber eigentlich möchte man weiter auf der Erde sein, wo man seine Musik, Freunde und alles Liebgewonnene hat. Das Selbsterhaltungsstreben macht es uns schwer, uns aufzugeben - solange das Dasein eine gewisse Lebensqualität besitzt.
Würden wir unser Leben anders leben, wenn wir den Zeitpunkt unseres Todes kennen würden?
Das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit hat eine positive und eine negative Seite. Die positive Seite, angesprochen von Tolstoi, Kierkegaard oder Heidegger, ist, dass die Vergegenwärtigung der eigenen Endlichkeit den Blick auf das Wesentliche lenkt, auch darauf, dass man sein Leben nur ein Mal geschenkt oder zugemutet bekommt. Die Einmaligkeit hat die Funktion, mir mein Leben bewusst zu machen, Ausschau zu halten nach dem, was mir wichtig ist, und die Dinge nicht so schwer zu nehmen. Hier hat das Todesbewusstsein weniger mit dem Tod zu tun als mit dem Leben.
In diesem Zusammenhang finde ich die Vorstellung geradezu unheimlich, dass man jedes Jahr genau an dem Tag vorbeikommt, an dem man einmal sterben wird. Das kann den Wert unserer verfließenden Lebenszeit sogar steigern und zu großer Dankbarkeit für das geschenkte Leben führen. Zugleich liefert es uns einen guten Grund, Geburtstag zu feiern. Damit feiern wir die Unselbstverständlichkeit unseres Daseins. Ein Geburtstag wird gefeiert, weil man auch schon nicht mehr existieren könnte, dennoch und noch immer aber existiert.
Wenn wir nun allerdings von Anbeginn wüssten, dass wir genau 72 Jahre alt werden, dann hätten wir dauernd den Druck, keine Zeit vergeuden zu können. Wir unterstünden einem fortwährenden Intensivierungsterror und dem Gefühl, nichts verpassen zu dürfen. Somit ist es sogar sehr gut, uns in der Illusion zu wiegen, wir sterben nicht. Dadurch können wir immer wieder Kurskorrekturen vornehmen und das machen, was wir gerne machen möchten, weil wir wissen, dass das Leben endlich, aber bis auf Weiteres noch nicht am Ende ist.
Wozu benötigen wir Vorstellungen eines Jenseits?
Es hat etwas Tröstliches, weil unser Selbsterhaltungsstreben damit bis über den Tod hinaus sinnvoll erscheint. Zu denken, der Tod sei so etwas wie ein Sprungbrett in eine andere Welt, gibt ein gutes Gefühl. Wenn wir uns schon von anderen verabschieden müssen, möchten wir wenigstens nicht von uns selbst Abschied nehmen müssen.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Nein. Vor der Philosophie habe ich Theologie studiert. Die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft hat für mich die Plausibilitätsbedingungen des Unsterblichkeitsglaubens ausgehöhlt. Ich sehe zwar, dass die christliche Botschaft etwas anderes ist als der Versuch, eine unsterbliche Seele zu beweisen, aber für mich hat sie keine Überzeugungskraft. Wir sind auf einem kleinen Planeten, umgeben von Milliarden Sternen unserer Galaxie, die eine von Milliarden Galaxien ist. Warum soll es auf einem kleinen Planeten eine Ausnahme der kosmischen Gesetze für eine kleine Gattung geben? Natürlich ist das keine schöne Überzeugung, dennoch überwiegt jede andere Position an Plausibilität. Allerdings räume ich ein, dass meine nüchterne Position mich nur verstandesmäßig überzeugt, gefühlsmäßig nicht.
Was spricht Sie gefühlsmäßig an?
Nach wie vor das Religiöse. Da ich katholisch erzogen wurde, finde ich Kathedralen, Kirchenmusik und all die Zaubereien bei einem katholischen Gottesdienst emotional wunderbar, aber das verträgt sich nicht mit meinem rationalen Verstand. Ich bin also nicht völlig abgeklärt, sehe Kathedralen nicht nur als Immobilien in bester Ortslage, sondern bin ein sentimentaler Nostalgiker. Diese Gruppe, die größer ist, als man annehmen mag, betrifft die Generation der Anfang 40- bis Ende 50-Jährigen, die noch traditionell-religiös sozialisiert wurden, aber im Laufe ihrer Lebensgeschichte ihren Glauben verloren haben. Sie sind gottlos geworden, aber Gott noch nicht losgeworden, leben in einem dauernden Abschied von dieser Religion. Abgeschlossen wäre der Abschied erst, wenn man den Abschied selbst noch mal verabschiedet hätte. Das ist der Moment, an dem man sich plötzlich frei fühlt.
In Westeuropa steuern wir erstmals in der zivilisierten Menschheitsgeschichte auf ein Experiment einer Gesellschaft ohne Gott zu. Es wächst die Zahl derer, die sich als areligiös bezeichnen. Daneben gibt es Leute, die sich ein religiöses Menü aus verschiedenen Göttern und Religionen zusammenmixen, weil sie mit der Kirche nichts mehr anfangen können, aber noch einen Gottesglauben haben. Es gibt ein Bedürfnis nach Ritualen und Spiritualität, daher auch der Erfolg der Esoteriker. Gleichzeitig verbreitet sich eine aufgeklärte Nüchternheit. Behaglich ist das alles nicht. Jedoch gibt es auch Menschen ohne Religion, die leichter sterben als manche Gläubige.
In einem Interview mit dieser Zeitung sagte der Experimentalphysiker Anton Zeilinger, der Begriff "Leben nach dem Tod" hätte eine zeitliche Dimension, die er für nicht richtig halte. Und: "Ich glaube, dass es ein Leben außerhalb der materiellen Welt gibt, es gibt eine geistige Welt außerhalb der materiellen Existenz" und "ein Bewusstsein, das wir nicht verstehen." Wie interpretieren Sie das?
Selbstverständlich kann ich das nicht ausschließen, aber es spricht nichts außer unseren Wünschen dafür. Höchstwahrscheinlich ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod eine Erfindung der Menschen. Fundamentaler noch aber ist das Existenzrätsel - dass wir überhaupt existieren, selbst Teil des Urknalls sind. Für das Wunder aller Wunder, dass überhaupt etwas ist, haben wir natürlich keine innerweltliche Antwort. Denn die Welt ist womöglich einfach da. Diese Vorstellung finde ich noch faszinierender als den Gedanken, dass sie von irgendwoher kommt. Auch wenn wir den Urknall nicht fassen können, weil er außerhalb der Raumzeit liegt, so kann er ja nicht aus dem Nichts kommen. Da muss es immer schon eine Art Existenz gegeben haben.
Selbst wenn wir einen Schöpfer des Ganzen denken, wäre das Existenzrätsel nicht gelöst, sondern nur verschoben. Denn den Schöpfer müsste man genauso befragen, woher er denn sei. Er kann sich ja nicht selbst erschaffen haben, ohne schon da gewesen zu sein. Hierüber kann man den Verstand verlieren. Wie viele scheiden aus dieser Welt, ohne dieses Wunder, dass überhaupt etwas und man selbst auch da ist, sich klar vor Augen geführt zu haben? Aber die ungeheure Faszination hierüber vermag uns nicht über die eigene Sterblichkeit hinwegzutrösten.
Zur Person
Franz Josef Wetz
Der 55-Jährige ist Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd. Er studierte Philosophie, Germanistik und Theologie in Mainz, Frankfurt und Gießen und war Stipendiat des Cusanuswerks. 1992 habilitierte er in Philosophie. Ein Heisenberg-Stipendium wurde ihm gewährt, er nahm es aber nicht in Anspruch. Wetz ist Mitglied im Beirat der religionskritischen Giordano Bruno Stiftung,