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Die immerwährende Neutralität und Schrödingers Katze

Von Andreas Schindl

Gastkommentare
Andreas Schindl lebt als Arzt und Autor in Wien. Im Styria-Verlag erschien von ihm "Das Land zwischen den Gedankenstrichen - Neues Nachdenkbuch für Österreicher".

Gedanken zum Nationalfeiertag: die Unschärfe der österreichischen Außenpolitik.


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Mit Anton Zeilinger verfügt Österreich über einen international anerkannten Experten in Sachen Quantenphysik. Durch seine Experimente zum Thema Beamen ist es in den vergangenen Jahren auch gelungen, dieses ebenso sperrige wie zukunftsträchtige Thema in den Fokus der österreichischen Aufmerksamkeit zu rücken.

Ein Grund für die schwere Durchschaubarkeit der Quantentheorie besteht darin, dass sich Elementarteilchen ihr zufolge gleichzeitig wie kleine Kügelchen und wie Wasserwellen verhalten können. Dadurch sind ihr Ort und ihre Geschwindigkeit niemals gleichzeitig exakt messbar; ein Umstand der als "Heisenbergsche Unschärferelation" in die Annalen der Physik eingegangen ist.

Wahrscheinlichkeiten und Zufälle wurden zu bestimmenden Größen der modernen Physik. Im Jahr 1935 hat der österreichische Physiker und spätere Nobelpreisträger Erwin Schrödinger zur Veranschaulichung dieses Dilemmas ein Gedankenexperiment entworfen, in dem sich eine später nach ihm benannte Katze zusammen mit einer quantenmechanischen Höllenmaschine in einer Stahlkammer befindet. Gemäß den Gesetzen der Quantentheorie ist diese Katze bis zu dem Zeitpunkt, zu dem jemand die Stahlkammer öffnet und nach ihr sieht, gleichzeitig tot und lebendig.

Interessanterweise weist nicht nur die österreichischen Politik eine solche Unschärfe auf (Robert Menasse spricht von "Entweder-und-oder-Politik"), auch das Bundesgesetz über die "immerwährende" Neutralität - und somit eine elementare Grundlage der Zweiten Republik - kann als eine Widerspiegelung quantenphysikalischer Regeln wahrgenommen werden.

Das Völkerrecht besagt nämlich, dass erst aktive "Garantieerklärungen" anderer Staaten die ausgerufene Neutralität juristische Wirklichkeit werden lassen. Zwar hat sich Österreich im Moskauer Memorandum dazu verpflichtet, nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages eine internationale Anerkennung seiner von sich aus zu erklärenden Neutralität anzustreben, tatsächlich ist es aber nach der Verabschiedung des identitätsstiftenden Verfassungsgesetzes am 26. Oktober 1955 zu keiner Garantieerklärung durch die Sieger- oder Nachbarstaaten gekommen.

Folglich ist die österreichische Neutralität lediglich eine Option, eine Möglichkeit; sie weist also eine quantenmechanische Unschärfe auf, die jederzeit in einen Zustand "völkerrechtlich neutral" oder "völkerrechtlich nicht-neutral" kippen könnte. Dies wäre theoretisch durch eine Art völkerrechtliche "Feststellungsklage" oder - horribile dictu - durch den Eintritt eines "Bündnisfalles" möglich und käme der "Kopenhagener Deutung" gleich. Diese besagt, dass der (zufällig gewählte) Zeitpunkt der Beobachtung darüber entscheidet, welcher der beiden bis dahin gleichzeitig möglichen Überlagerungszustände (Katze lebt oder nicht) registriert wird. Werner Heisenberg dazu:
"Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt."

Da halten wir es doch lieber mit dem Physiker Yakir Aharonov, der mit beinahe österreichischer Desinvolture meinte, dass man diese Probleme am besten dadurch umginge, indem man nicht darüber nachdächte.