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Die immerwährende Neutralitätsdebatte

Von Erich Félix Mautner

Gastkommentare
Erich Félix Mautner ist Autor und Journalist. Er schreibt hauptsächlich zu Rechtsfragen der Kunstberufe.
© P.P.Wiplinger

Österreichs "Staatsvertragskanzler" Julius Raab hatte offenbar in Bezug auf die Neutralität ursprünglich andere Pläne.


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Österreich ist neutral. Das war es, glaubt man den Erzählungen älterer Mitbürger, eigentlich immer schon. Die Österreicher waren neutral, nirgends dabei, haben niemandem etwas getan, hatten an nichts Schuld und konnten daher auch ganz neutral von nichts wissen. Von 1938 bis 1945 konnte es gar nicht anders sein - da gab es die Österreicher ja gar nicht. Daher kann Österreich, zumindest die Republiken, ja rechts und links auf der Zeitleiste, nur immerwährend neutral (gewesen) sein. Dass das im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 endlich genau so dokumentiert wurde, ist daher nur logisch.

Chronologisch beginnt die Geschichte der heutigen immerwährenden Neutralität schon vor den eigentlichen Verhandlungen um den Staatsvertrag zum Abzug der alliierten Befreiungsstaaten - obwohl Kanzler Julius Raab zunächst andere Pläne für Österreich hatte: Zu Frankreichs Außenminister Georges Bidault sagte er, Österreich sei sich seiner Verantwortung gegenüber Europa und dem Westen bewusst und spiele auch nicht mit der Frage einer allfälligen Neutralität. Niemals habe die Regierung oder das österreichische Parlament einen Neutralitätsstandpunkt eingenommen. Dies sei "eine Erfindung der Zeitungen und eine Forderung der Kommunisten". Im Parlament sei lediglich erklärt worden, man werde keinem militärischen Pakt beitreten.

Konkret wurde die Neutralität dann in einem Gespräch Raabs mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow. Auf dessen Frage, ob er sich vorstellen könne, eine konkrete Erklärung über die Wahrung der Neutralität und der Nichtzulassung militärischer Basen auf österreichischem Gebiet zu geben, erwiderte Raab, diese Erklärung sei schon am 23. September 1953 im Hauptausschuss des Nationalrates beschlossen worden. Die Regierung habe schon im Sommer 1953 in Erfahrung zu bringen versucht, ob eine Neutralität Österreichs den Abschluss des Staatsvertrages fördern könnte, schreibt Peter Ruggenthaler in "The Concept of Neutrality in Stalin’s Foreign Policy".

UdSSR-Nachfolger Russland als Vertragspartner Österreichs

Der Gedanke war also 1953 nicht ganz neu - neu war allerdings der Versuch, die Neutralität Österreichs als Verhandlungselement ins Spiel zu bringen. "Dieser Versuch geschah zunächst in sehr behutsamer Weise, in Form vertraulicher Sondierungen und mit einem Minimum an Festlegungen", so Ruggenthaler. Im Sommer 1952 erhielten die sowjetischen Geheimdienste die Mitteilung, dass Raab den sich auf dem Weg zu einer Konferenz in Moskau befindlichen Ex-Parteikollegen und Obmann der Demokratischen Union, Josef Dobretsberger, gebeten hatte, die Nachricht weiterzugeben, es gebe in der ÖVP Leute, die bereit seien, Österreich zu neutralisieren, "ohne es zu einer Volksdemokratie zu machen".

Schnell wurden sich die Verhandlungspartner über die Neutralität Österreichs einig, wobei Molotow noch von einer Neutralität, wie sie die Schweiz hatte, sprach (tatsächlich unterscheiden sich die beiden Modelle im Prinzipiellen). Es folgte das Moskauer Memorandum vom 15. April 1955, eine formlose Vereinbarung der österreichischen Regierung unter Kanzler Raab, Vizekanzler Adolf Schärf und Außenminister Leopold Figl - lauter "lupenreinen Demokraten" - und Staatssekretär Bruno Kreisky, mit Außenminister Molotow und dem Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates, Anastas Mikojan, für die Sowjetregierung. Die anderen Signatarstaaten waren hier nicht involviert. Bis heute versteht sich Russland - und damit auch Präsident Wladimir Putin - als legitimer Nachfolger der Sowjetunion als Österreichs Vertragspartner in Bezug auf die immerwährende Neutralität, der über deren Einhaltung wacht.

"Umfassende Landesverteidigung"

Im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 heißt es über die Neutralität Österreichs: "(1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen." Im Jahr 2006 wurde ins Bundesgesetzblatt von 1930 noch eingefügt: "(1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. (. . .) (2) Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung."

Ursprünglich wurde die Neutralität Österreichs, anders als jene der Schweiz, so verstanden, dass nur der Staat zu dieser verpflichtet sei. Der Staatsbürger dürfe parteiisch sein. Von dieser Deutung hat man bald nichts mehr gehört. Die immerwährende Diskussion über Österreichs Neutralität, sie zu ändern oder zu vergessen, müsste übrigens mit dem Vertragspartner geführt werden, nämlich Russland. Und das könnte spannend werden.