Warum ein "Scharfstellen" immer unrealistischer wird. Ab 1. Juni fällt die Maskenpflicht, nur in Wien nicht ganz.
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Das Coronavirus macht keine Pause. Das zeigen die rund 2.000 neuen Infektionsfälle, die für Montag gemeldet wurden. In gewisser Weise macht aber die Pandemie Sommerpause. Gemeint ist damit die Gefährdung der Allgemeinheit, speziell durch eine Überlastung des Gesundheitssystems. Vor etwas mehr als einem Jahr hatten dieselben Fallzahlen noch die Spitäler an den Anschlag des Zumutbaren gebracht. Am Dienstag meldete die Bundesregierung circa 600 Patienten mit einer Sars-CoV-Infektion in Krankenhäusern, 57 davon mussten auf einer Intensivstation behandelt werden.
Durch die derzeitige epidemiologische Lage sei es zu verantworten, die Maskenpflicht weitgehend aufzuheben, sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Ab 1. Juni fällt die FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in Supermärkten, Drogerien, Apotheken und in Banken und Postfilialen. Sie wird nur dort aufrecht bleiben, wo sich besonders vulnerable Personen aufhalten, also etwa in Spitälern und Pflegeheimen. Die Stadt Wien geht wieder eigene Wege. In öffentlichen Verkehrsmitteln bleibt die FFP2-Pflicht, ebenso in Apotheken und Ordinationen.
Der Schutz jener Personen, die sich aufgrund ihres Gesundheitszustandes besser nicht mit dem Coronavirus infizieren sollten, war zuletzt auch das Argument, warum in Bereichen, auf die kaum verzichtet werden kann, die Maskenpflicht aufrecht blieb. Nun bleibt es bei einer Empfehlung, so Rauch. Gerade wegen der extrem hohen Infektiosität der Omikron-Variante ist die Maske eine wirksame Form der Risikoreduktion.
Der Gesundheitsminister machte auch klar: "Die Maske wird wiederkehren. Die Pandemie ist nicht vorbei." Für den Herbst rechnen Expertinnen und Experten, ähnlich wie in den vergangenen Jahren, wieder mit einem regen Infektionsgeschehen. Unter anderem auch, weil die derzeit in der Bevölkerung gut ausgeprägte Immunität mit der Zeit schwindet. Der Schutz vor schweren Covid-Verläufen bleibt zwar deutlich länger aufrecht, doch auch dieser nimmt etwas ab, bei älteren Personen, die ohnehin ein höheres Risiko haben, in der Regel stärker.
Unsicherer Herbst
Was im Herbst genau passieren und welche Variante dominieren wird, ist derzeit noch unsicher. Rauch sprach aber davon, dass Ende September wohl verbreitet Auffrischungsimpfungen notwendig sein werden. Das wird auch organisatorisch vorbereitet, der Zugang soll niederschwellig bleiben, Betriebe und Hausärzte verstärkt eingebunden werden. Noch hat das Nationale Impfgremium aber gar keine Empfehlung für eine vierte Impfung für alle ausgesprochen, nur für besonders gefährdete Gruppen.
Eher unwahrscheinlich ist dagegen, dass die Impfung verpflichtend wird. Das Anfang des Jahres vom Nationalrat beschlossene Gesetz wurde bisher nicht "scharf gestellt", wie es die Bundesregierung formuliert. Und das bleibt vorerst auch so. Die Aussetzung wird um weitere drei Monate verlängert, wie Rauch und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bekanntgaben. Ob die Pflicht je kommt, erscheint nach der zweiten Bewertung der Impfpflicht-Kommission noch fraglicher als bisher. Der politische Wille auf Durchsetzung ist ohnehin schon vor Monaten sichtbar geschwunden, nun kommen neue medizinisch-rechtliche Aspekte dazu.
Die Rolle der Medikamente
Wie Edtstadler ausführte, sei derzeit der grundrechtliche Eingriff einer Impfpflicht nicht geboten, da er nicht verhältnismäßig wäre. Die epidemiologische Situation müsse schon "eine Extreme sein", erklärte sie auf Nachfrage. Das heißt konkret, die Überlastung des Gesundheitssystems muss drohen. Das ist momentan nicht der Fall. Wobei die Kommission in ihrer Stellungnahme diese Überlastung weiter definiert. Auch ein massenhafter Ausfall von Personal oder das Absagen wichtiger Operationen, um Betten freizuhalten, könne als Überlastung interpretiert werden.
Der Schutz des Gesundheitssystems sei ein "legitimes Ziel" für den Grundrechtseingriff der Impfpflicht, so Edtstadler. Aber es müssen weitere drei Kriterien erfüllt sein. Die Impflicht muss ein "geeignetes Mittel" sein. Sie muss für die Zielerreichung erforderlich sein. Und, drittens, die Maßnahme muss angemessen sein. Anders formuliert: Eine "scharf gestellte" Impflicht muss ausreichend wirksam und notwendig sein, um eine Überlastung zu verhindern, damit sie verhältnismäßig ist.
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Hier könnten die nun verfügbaren Covid-Medikamente eine Rolle spielen. Rechtzeitig eingenommen, können sie das Risiko schwerer Verläufe reduzieren. "Dies relativiert die Impfnotwendigkeit keinesfalls, bietet aber ein zusätzliches Sicherheitsnetz", heißt es in der Stellungnahme der Kommission. Die Datenlage zu diesen Medikamenten ist noch lückenhaft, aber dieses "Sicherheitsnetz" könnte aus Sicht der Experten den "Effektivitätsvorteil" der Impfpflicht schwinden lassen, also ihren Zusatznutzen reduzieren. Dieser Nutzen muss aber groß sein, gerade weil die Impfpflicht ein so gravierender Eingriff ist. Deshalb müsse man "verstärkt die Frage stellen, ob der Effektivitätsvorteil unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit noch ausreicht, um eine allgemeine Impfpflicht zu rechtfertigen", heißt es in der Stellungnahme.
Lage muss sehr ernst sein
Ein weiterer Aspekt: Es dauert einige Wochen, bis sich nach den ersten Teilimpfungen Immunität aufbaut. Als Ad-hoc-Maßnahme wäre die Impfpflicht daher nur eingeschränkt wirksam, sie braucht also einen Vorlauf. Doch wenn "eine extreme Situation", wie Edtstadler sagte, eine Grundvoraussetzung darstellt, beißt sich die Katze in den Schwanz. Zuerst ist die Lage nicht ernst genug, damit die Impfpflicht "angemessen" ist. Wenn es dann aber heikel wird, ist womöglich die Wirksamkeit dieser Maßnahme nicht mehr ausreichend, damit sie verhältnismäßig ist.
Freilich, sollte eine Variante auftauchen, die den Schutz Geimpfter und Genesener völlig umgeht, würde sich die Lage wieder ändern. Allerdings wäre dann – logischerweise – Voraussetzung für die Impfpflicht, dass es einen Impfstoff gegen die neue Variante gibt.
Neufassung des Artikels um 16.15 Uhr, 17.30 Uhr: Ergänzung mit Maßnahmen der Stadt Wien.