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Die Inflation und die Lohnpolitik

Von Wilhelm Hanisch

Gastkommentare
Wilhelm Hanisch, geboren 1948, ist Sozial- und Wirtschaftswissenschafter mit langjähriger Berufserfahrung in Strategieberatung und Forschungsprojekten für Unternehmen und insbesondere öffentlichen Institutionen (unter anderem Ministerien, Forschungsrat).
© privat

Erlebt die "Theorie der rationalen Erwartungen" ein Revival?


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Die EZB hat ihr Inflationsziel adaptiert: von "unter bis 2 Prozent" auf "genau 2 Prozent". Klingt unerheblich, ist es aber nicht, zumindest in der Sprache der Finanzwelt; bedeutet es doch auch die Hinnahme von 2 Prozent plus - in welcher Fristigkeit auch immer. Die meisten Kommentatoren beschwichtigen; sie sehen zwar eine fortgesetzte Lockerung der Geldpolitik, meinen aber, Notenbanken und auch Fiskalpolitik der westlichen Volkswirtschaften hätten das Management der Stabilitätsziele im Griff. Inflationsängste - schon gar in Richtung Hyperinflation - seien unberechtigt.

Allerdings geht es weniger um Ängste vor kriegsbedingter Hyperinflation, sondern vor der viel näherliegenden "schleichenden Inflation" (2 bis 5 Prozent), die leicht ins Unbemerkte absinken könnte. Für das Konsumpotenzial der höheren Einkommensschichten könnte es wenig Unterschied machen, ob die Inflationsrate 2 oder 4 Prozent beträgt. Sie bilden andererseits nach wie vor die Kernschicht bei Lohnrunden, wobei ihr gewerkschaftlicher Organisationsgrad gegenüber den 1970ern (mit Inflationsraten von 5 bis 15 Prozent) weitaus geringer ist. Einer geringeren Sensibilität gegenüber Reallohnverlusten könnte zwar eine gesteigerte Sensibilität auf Realverluste des gestiegenen Geldvermögens gegenüberstehen. Doch ist dies nicht Gegenstand von Lohnkämpfen. Und in diesem Kontext gibt es schon Stimmen, die bei den Gewerkschaften Alarm auslösen könnten.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman findet ein Inflationsziel von 4 Prozent (durch die US-Notenbank) durchaus erstrebenswert (die USA liegen bereits darüber). Eine einmal ausgesetzte Lohnrunde würde bei ansonsten guten Rahmenbedingungen (Beschäftigung, partielle Lohndrift) leichter hingenommen und wäre für Unternehmen nützlich (Kostensenkung, Wettbewerbsfähigkeit). Das erinnert fatal an die längst theoretisch wie empirisch erledigte "Theorie der rationalen Erwartungen" der 1980er, laut der die Arbeitnehmer so klug seien, keine preistreibenden Lohnforderungen durchzusetzen, da sich diese 1:1 in höheren Lebenshaltungskosten niederschlügen. Besonders am Pranger standen damals die automatischen Lohnanpassungen in Italien. Das Land hatte damals zwar eine viel höhere Inflation als etwa Deutschland, das Land mit der traditionell höchsten Lohn-/Preisdisziplin, jedoch annähernd gleiche, ja sogar höhere jährliche Reallohnzuwächse.

Lohnkämpfe im Kapitalismus gleichen unausweichlich einem Wettrennen nach dem Motto: "Wer kämpft, kann verlieren - wer nicht kämpft, hat schon verloren." Und es gibt Thesen, dass die damalige Hochlohnpolitik der italienischen Gewerkschaften durchaus zum industriellen Strukturwandel beigetragen habe (Leichtindustrie). Mit oder ohne Illusion, rational oder nicht - Erwartungen sind auch in der Ökonomie reale Antriebe des sozialen Geschehens und der Interessenmanifestation. Auch Krugmans Idee liegt ja die Metapher eines Wettkampfs zugrunde, allerdings mehr jene des Wettkampfs zwischen Hase und Igel, in der Hoffnung, dass die Unternehmer den Igel geben könnten und die Arbeitnehmer als Hasen nicht durchschauen würden, dass im Ziel gar keine Igelfrau wartet.