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Die Insel der vergnügten Entmündigten

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Wir sind Life Ball, wir sind Song Contest, wir sind Andreas Gabalier und Conchita Wurst - und auf bürgerliche Freiheiten pfeifen wir gerne.


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Bauarbeiter sollen künftig nicht mehr bar entlohnt werden, sondern nur noch über ein Bankkonto. Nicht unverständlich, denn gerade dem Baugewerbe sollen steuervermeidende Praktiken nicht ganz fremd sein. Das Bargeldverbot lässt sich daher plausibel als Maßnahme gegen die Steuerhinterziehung verkaufen.

Konsequenterweise wird es aber früher oder später nicht beim Bau bleiben. Denn auch im Bereich der häuslichen Reinigungsdienste sollen ja steuerschonende Cash-Transaktionen die Regel sein, genauso wie in trinkgeldintensiven Dienstleistungen. Konsequenterweise müsste künftig auch das Honorar der Putzfrau nur noch per Bankanweisung legal möglich sein und der Bargeld-Schmattes für den Friseur zum Fiskaldelikt erklärt werden.

Zum generellen Bargeldverbot, wie es erst dieser Tage der prominente deutsche Ökonom Peter Bofinger forderte, ist es da nicht mehr weit.

In Kombination mit der Einführung des Kontoregisters, der Abschaffung des Bankgeheimnisses und dem formlosen Behördenzugriff auf alle privaten Kontodaten haben wir es hier zweifellos mit dem massivsten Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu tun: der Abschaffung der Privatsphäre des Individuums. Denn wenn der Staat jede auch noch so intimste Handlung seiner Untertanen überwachen kann, existiert diese Privatsphäre nicht mehr.

Wie konsequent sie beseitigt wird, zeigt Deutschland. Dort wurde 2005 der Behördenzugriff auf Konten aus Gründen der Terrorprävention ermöglicht und 8700 Mal genutzt. 2014 knackten unterschiedlichste Behörden schon mehr als 200.000 Mal das nicht mehr existente Bankgeheimnis. Was eher nicht mit einer derart stark verschärften Bedrohungslage zusammenhängen dürfte.

Am verblüffendsten an dieser Entsorgung der Privatsphäre durch den Staat ist, wie apathisch und gleichgültig die Opfer diesen Angriff hinnehmen. Einer hierorts nicht untypischen Prioritätenpervertierung folgend hyperventiliert die halbe Republik um Song Contest, Life Ball, Conchita Wurst und Andreas Gabalier, während die Entsorgung bürgerlicher Grundrechte hingenommen wird wie Schlechtwetter zu Pfingsten.

Zum Teil liegt das natürlich daran, dass es der Regierung ganz gut gelungen ist, all diese Maßnahmen unter dem Label "Steuergerechtigkeit" zu verkaufen und bei den meisten das Gefühl zu erzeugen, ohnehin nicht betroffen zu sein. Das wird sich zwar als ziemlicher Irrtum herausstellen, aber dann wird es schon zu spät sein. Zum Teil liegt es auch daran, dass längst Realität ist, wovor der Medienforscher Marshall McLuhan 1985 warnte: "Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr - das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung." Das gilt natürlich besonders für die politische Kultur, also das Einmischen der Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten, wie etwa die Demontage bürgerlicher Grundrechte.