)
Die Angst vor Gegensätzen und Widersprüchen in der Gesellschaft darf die Politik nicht lähmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
31 Tote, 20.587 Gewaltopfer, 11.495 Betretungs- und Annäherungsverbote. Das waren im Jahr 2020 in Österreich nur einige Folgen der patriarchal dominierten "Spaltung" der Gesellschaft in Männer und Frauen. Von Löhnen, Hausarbeit und Kinderbetreuung reden wir noch gar nicht. Wir könnten auch dicke Bücher über die Folgen der "Spaltung" der Gesellschaft in Arm und Reich hinzufügen, über unterschiedliche Lebenserwartung, Bildungswege, Wohnviertel, Energieverbrauch oder Freizeitverhalten.
Wir könnten reden über die Bruchlinien zwischen Stadt und Land, Jung und Alt, Christen und Muslimen, Zuwanderern und Ansässigen. Verweisen wir noch auf die unterschiedlichen Haltungen zum Nationalsozialismus als der großen kulturellen Bruchlinie der Nachkriegsgesellschaften.
Gesellschaften sind nie homogen. Sie sind von tausend Trennlinien durchzogen. In der Corona-Krise aber werden bedrohliche "Spaltungen" einer bis dahin vermeintlich harmonischen Gesellschaft mit sorgenvoller Miene kommentiert. Dieser sozial, historisch und durch Gewöhnung doch sehr eingeschränkte Blick auf die Gesellschaft ist im Interesse politischer Handlungsfähigkeit zurechtzurücken.
Sollen wir allen besorgten Mahnern ihre staatstragende Attitüde abnehmen? Allzu oft war und ist die vorgebliche Sorge vor einer "Spaltung" der Gesellschaft mit falschem Versöhnlertum und politischer Feigheit kombiniert. Keine klaren Festlegungen, unzureichende Maßnahmen, geheucheltes "Verständnis", ein schwacher, aber stets brav zahlender Staat, de facto Anerkennung eines dubiosen Rechtes auf eigene Fakten, Zurückweichen vor unsolidarischem Verhalten bei gleichzeitiger Wahrung aller Rechte für Versicherte, als Bürger oder Patienten - so glaubte man, auf schlecht Österreichisch eine immer tiefere "Spaltung" zu verhindern. Erfolglos. Stattdessen hat die falsche Rücksichtnahme Opfer gekostet: Tote, Kranke, riesige wirtschaftliche Schäden, Schicksale, ausgepowertes Gesundheitspersonal, verunsicherte Kinder, Milliarden zusätzliche Schulden, die eben diese Kinder zu begleichen haben werden. Ein hoher Preis für eine falsche Harmonie.
Gesellschaftliche "Spaltungen" können mit Verleugnung und Schwammigkeit eben nicht geheilt werden. Sie verlangen deutliche Benennung und entschiedenes Handeln. Mit dem aktuellen Lockdown und der Impfpflicht für alle haben Regierung und Bundesländer spät, aber doch, richtig entschieden. Trotz der Drohungen mit und der Angst vor einer "Spaltung".
Persönlich und familiär sind wir ganz anders gefordert. Da sind Großzügigkeit, Schweigen und die Vereinbarung, manche Themen bei Begegnungen einfach einmal auszusparen, mögliche Verhaltensweisen. Und so wie Familien oder Freundschaften halten auch Gesellschaften "Spaltungen" aus, solange der Vorrat an Gemeinsamkeiten groß genug ist. Das ist der Fall. Die übergroße Mehrheit der Bürger stellt wegen Corona weder den Rechtsstaat noch die Demokratie in Frage. Diese Pandemie und die damit verbundenen "Spaltungen" sind Herausforderungen. Wir können sie aushalten und meistern.