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Dass Ulrich Seidl mit seinem neuen Film "Im Keller" derzeit die Wogen hochgehen lässt, führt zu mehreren Erkenntnissen:
Erstens führt Seidl vor, wie man für einen österreichischen Arthaus-Film ganz ohne Budget maximales Medieninteresse und somit Gratis-Werbung generieren kann. Zweitens ist Seidls Absicht, mit der "Kellernazi"-Szene quasi stellvertretend den Umgang der Österreicher mit der NS-Vergangenheit zu zeichnen, vielleicht als künstlerisches Experiment beachtlich, jedoch erscheint die Art und Weise, wie der Regisseur seine Thesen aufstellt, für Seidl-Unkundige höchst fragwürdig.
Denn jeder, der Seidls Filme kennt, weiß, dass es mit seinem "dokumentarischen" Anspruch im Wortsinn nicht weit her ist; vieles ist bei Seidls Dokus "gestellt" oder zumindest zurechtgerückt, um seiner Ästhetik gerecht zu werden. Das hat Seidl oft genug selbst betont.
Dass es jetzt Menschen trifft, die Seidls Arbeiten vermutlich nicht (so gut) kennen, ist für diese bitter. Was jedoch nichts daran ändert, dass sie sich freiwillig vor seine Kamera begeben und dort höchst fragwürdige Dinge getan haben.
Dass die meisten, die sich nun über "Im Keller" echauffieren, den Film noch nicht einmal gesehen haben, ist ein weiteres typisches Merkmal öffentlicher Debatten in diesem Land.
Ulrich Seidl jedenfalls hat seine Praktik der "inszenierten Dokumentation" spätestens jetzt über eine Grenze geführt. Er ist ein bisschen das Opfer seiner eigenen Arbeitstechnik geworden. Bei Themen wie Sex und Lust kann Inszenierung womöglich beflügeln. Bei Hitler und Nazis ist sie beschämend. Für alle Beteiligten.