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"Lernt Deutsch." Diese Aufforderung richten nicht nur deutsche - und österreichische - Politiker immer wieder an Ausländer. Auch türkische Regierungsvertreter verwenden diesen Satz gerne, wenn sie mit ihren im Ausland lebenden Landsleuten reden. "Lernt die Sprache, investiert in die Bildung eurer Kinder, nehmt die Staatsbürgerschaft des Landes an", sagen sie. Und lösen damit vor allem in Deutschland Überlegungen aus, wie sehr Ankara über die Auslandstürken und deren Mitsprache Einfluss auf die Politik in Berlin haben kann - und will.
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Wenn aber der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dazu auffordert, Türkisch - auch in Schulen in Deutschland - zu lernen, ist das Misstrauen unverhohlen. Die Idee wird abgelehnt, wobei weder berücksichtigt wird, dass es bereits private türkische Schulen gibt, noch dass etliche Pädagogen gute Kenntnisse der Muttersprache als Voraussetzung für das Erlernen einer anderen Sprache ansehen.
Doch in der Debatte, die im Vorfeld des Türkei-Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel entbrannt ist und bei der Visite selbst nur kurzfristig entschärft wurde, geht es um mehr als Integration. Dass für diese nämlich Sprachkompetenz unabdingbar ist, ist sowieso klar. Weniger offen wird aber die Angst vor einer Turkisierung Europas ausgesprochen, die im Hintergrund mitschwingt, vor allem wenn von einem möglichen EU-Beitritt der Türkei die Rede ist.
Dabei sollte das Augenmerk eher in die andere Richtung gelenkt werden: auf die Europäisierung der Türkei. Diese Woche noch will die Regierung in Ankara einen wesentlichen Schritt setzen. Sie möchte den Entwurf für eine neue Verfassung im Parlament einbringen. Das Gesetz soll den alten, nach einem Militärputsch verfassten Text ersetzen und demokratische Rechte in dem Land stärken.
Will das Kabinett Erdogan die EU-Annäherung fortsetzen, muss es ebenso seine Initiative zu mehr Rechten für ethnische und religiöse Minderheiten mit Leben erfüllen. Und es muss die kriminellen Parallelstrukturen eines "tiefen Staates", den ein mafiöses Netzwerk aus Militärs, Politikern und Unternehmern geschaffen hatte, zerstören helfen. Die von der EU verlangte Öffnung türkischer Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge ist im Vergleich dazu das geringere Problem.
Die Integrationsmöglichkeiten der Türkei in das europäische Gefüge zeigen sich bei all diesen Vorhaben in dem Land selbst - und nicht bei Integrationsdebatten in anderen Staaten. Ob Europa so ernsthaft an Änderungen in der Türkei interessiert ist, wie es behauptet, wird daran gemessen, wie ernsthaft es Druck ausübt - und das Land bei seinen Bemühungen unterstützt.
Siehe auch:Merkel entschärft Integrationszwist