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Die Interessen der restlichen 27

Von Siobhán Geets

Politik
© fotolia/Denys Rudyi

Auch beim Thema Brexit verfolgen die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessen. Eine Auswahl.


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London/Brüssel. Die Debatte im britischen Oberhaus am Montagnachmittag war vor allem symbolischer Natur. Dass die "noblen Lords", deren Einfluss ohnehin schwindend gering ist, dem Brexit-Gesetz zustimmen, gilt als sicher. Damit kann das Parlament (das Unterhaus stimmte bereits zu), es bis zum 7. März verabschieden. Premierministerin Theresa May braucht das Gesetz, um die Erklärung zum Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union in Brüssel abzugeben. Erst danach dürfen die Verhandlungen mit der EU beginnen.

Und die dürften langwierig und kompliziert werden, denn die Mitgliedstaaten der Union ziehen auch beim Thema Brexit nicht an einem Strang. Wie der britische "Guardian" aufzeigt, geht es den einen hauptsächlich um die Erhaltung der wichtigsten Errungenschaften wie EU-Binnenmarkt und Personenfreizügigkeit, während anderen Themen wie die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen wichtiger sind.

Irland

Kein anderes der verbleibenden EU-Länder ist so sehr vom Brexit betroffen wie Irland - politisch wie wirtschaftlich. Nicht nur ist Großbritannien der wichtigste Exportmarkt für die Republik, sie grenzt auch an Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört. Die größte Sorge Dublins ist die Rückkehr einer "harten Grenze" mit Waren- und Personenkontrollen - und einem Wiederaufflammen des Konfliktes im Norden. Um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, wird sich Dublin für den maximalen Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt einsetzen. Andererseits wirbt auch Irland um Konzerne, die überlegen, aus dem Königreich abzuwandern.

Deutschland und Österreich 

Dass der Zusammenhalt der verbleibenden 27 EU-Staaten wichtiger ist als die Rücksicht auf Wünsche der Briten, stellte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel früh klar. Zugeständnisse bei den Forderungen Londons, die vier Grundfreiheiten der EU (Arbeitnehmer, Kapital, Dienstleistungen und Güter) einzuschränken, lehnt sie ab. Verwehrt Großbritannien EU-Arbeitnehmern künftig den freien Zugang, werde es auch nicht mehr vom EU-Binnenmarkt profitieren. Damit will Merkel auch verhindern, dass der Brexit in anderen Mitgliedstaaten zu Nachahmungseffekten führt.

Bundeskanzler Christian Kern hat zudem seine Sorge geäußert, dass für Österreich durch den Wegfall Großbritanniens als Nettozahler Mehrkosten anfallen. In die Detailverhandlungen wolle man sich jedoch nicht einmischen: Aufgabe der österreichischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 sei es vielmehr, dafür zu sorgen, "dass die großen Linien gewahrt bleiben".

Frankreich

Den Franzosen liegt viel daran, dass den Briten ihre Entscheidung zum EU-Austritt teuer zu stehen kommt. Der Brexit soll abschrecken und nicht etwa zum Modell für den EU-Austritt werden. Das liegt auch daran, dass Paris mit seinen eigenen EU-Skeptikern zu kämpfen hat - allen voran mit dem Front National, dessen Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen, Marine Le Pen, Stimmung gegen EU, Euro und Einwanderung macht. Gleichzeitig versucht Frankreich, seinen Nutzen aus dem Brexit zu ziehen - und wirbt gezielt um Konzerne, die darüber nachdenken, aus Großbritannien auf den Kontinent zu übersiedeln.

Italien

Italien gehört zu den EU-Ländern, die mit weniger Härte agieren - und vielleicht so etwas wie eine Vermittlerrolle übernehmen könnten. Das liegt auch daran, dass die Regierung in Rom (ähnlich wie jene in Griechenland) nach der Referendums-Schlappe vom Dezember vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Mit Berlin teilt Rom aber die Ansicht, dass es bei der Einschränkung der Personenfreizügigkeit keinen Zugang zum Binnenmarkt geben kann. Ein Dorn im Auge ist den Italienern das Timing des Brexit-Antrages nach Artikel 50 Ende März, denn am 25. finden in Rom die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge statt.

Lettland, Litauen und Estland

Die Regierungschefs der baltischen Staaten werden wohl zu den freundlicheren Gesichtern am Verhandlungstisch zählen. Mit ängstlichem Blick auf ihren zunehmend aggressiv auftretenden russischen Nachbarn hoffen sie, dass die Verteidigungskapazitäten Europas nicht unter dem Brexit leiden werden. Die drei Staaten waren nach dem Zweiten Weltkrieg von Moskau annektiert worden, nun sorgen sie sich, dass sich Ähnliches wiederholen könnte. Von dem Wunsch Londons, die Einwanderung aus der EU einzuschränken und gleichzeitig von allen Vorzügen des Binnenmarkts zu profitieren, halten aber auch die Balten nicht viel. Hunderttausende Menschen sind aus dem Baltikum nach Großbritannien übersiedelt, mehr als 160.000 Letten leben in Großbritannien. Und als große Profiteure von EU-Geldern und -Integration sind die drei Länder auch große Verteidiger des Zusammenhalts.

 Belgien, Luxemburg und die Niederlande

Die EU-Gründerstaaten Belgien, Luxemburg und Niederlande rücken die Grundrechte der EU in den Vordergrund. Zwar könnte auch Luxemburg von der Abwanderung des Londoner Finanzsektors profitieren, doch die Hände reibt sich hier niemand. Denn eines ist für diese Staaten in Westeuropa klar: Der Brexit ist eine "Lose-lose-Situation". Bei den Niederlanden kommt hinzu, dass Großbritannien ihr drittgrößter Absatzmarkt ist - das Land hat also noch mehr zu verlieren als andere. Dennoch können es sich die Niederlande kaum leisten, London entgegenzukommen. Denn auch hier sind die Euroskeptiker im Aufschwung - der Brexit darf nicht nach Erfolg aussehen.

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei 

Die Visegrad-Staaten haben angedroht, den Brexit-Deal zu blockieren, sollte er die Rechte ihrer in Großbritannien lebenden Bürger nicht schützen. Dennoch werden diese Länder kaum zu den harten Verhandlern zählen. Immerhin waren sie stets enge Verbündete Londons gegen die franko-deutsche Allianz und die einflussreichen Institutionen in Brüssel. Polen liegt zudem viel daran, Großbritannien angesichts der Drohgebärden aus Russland in der europäischen Verteidigungspolitik zu halten.

Rumänien und Bulgarien 

Mit rund 400.000 in Großbritannien lebenden Rumänen stellt das osteuropäische Land nach Polen die zweitgrößte Gruppe von EU-Einwanderern im Land. Es überrascht daher nicht, dass es den Rumänen in erster Linie um die Erhaltung der Personenfreizügigkeit geht. Auch dem ärmsten EU-Staat Bulgarien geht es um die Rechte seiner rund 70.000 Staatsbürger in Großbritannien.