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Die Iraner begehren auf

Von Arian Faal

Politik

Die Bevölkerung geht auf die Straße, und das Regime weiß: So kann es nicht weitergehen. Eine Analyse.


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Wien/Teheran. "Es gibt schon zwölf Tote. Schauen wir einmal, ob sie wieder durchgreifen oder ob es diesmal ein Entgegenkommen gibt. Wir wissen es nicht, was passieren wird, aber eines wissen wir: Es ist ein banges Warten", sagt eine Perserin in Teheran am Telefon. Ihre Stimme klingt sehr aufgebracht. Sie hat keine Lust auf eine Wiederholung der Ereignisse von 2009, als es nach der umstrittenen Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad landesweite Proteste mit hunderten Toten und Verletzten gab.

Seit Donnerstag gibt es im Iran erneut wütende Proteste gegen das Regime und die Führung in Teheran muss bedacht damit umgehen. Mehr als ein Dutzend Tote und mehrere Verletzte ist die bisherige Bilanz der jüngsten Demonstrationen.

Man spürt ein Knistern in der Luft, sind sich viele Perser im Iran einig. Von außen ist es leicht, zu kommentieren, zu analysieren und zu urteilen, wenn man die Mentalität, die Primärquellen, das Land und die Sprache nicht kennt. Die einfache Rechnung "Die Mullahs oder das Regime sind schuld", wie sie US-Präsident Donald Trump präsentiert, kann daher nur zu kurz greifen. Das Regime per se ist zudem im komplizierten iranischen Machtgefüge (siehe Grafik) alles andere als homogen.

Perser wollen vor allem ein besseres Leben

Nein, es geht nicht um radikale Umstürze und um Blutvergießen. Den Persern geht es um einen besseren Alltag, um weniger Restriktionen und um ein würdevolles Leben. Selbst die Unterschicht hat oft kein Fleisch auf dem Teller, aber ein modernes iPhone und eine operierte Nase. Denn der Perser im Iran ist im Allgemeinen weltoffen, intelligent und sprach- und internetinteressiert.

Außerdem liebt die junge Generation die westliche Lebensweise und träumt von einem Leben in den USA. Daher kommt es auch nicht von ungefähr, dass seit Jahren jährlich rund 300.000 - 400.000 Menschen den Iran (rund 80 Millionen Einwohner) für immer in Richtung Ausland verlassen. Die meisten von ihnen bauen sich als Akademiker ein gutes Leben auf. Ein wahres Wort ist hingegen Trumps Tweet vom Montag: Auf Twitter schrieb er, das "große iranische Volk" sei über Jahre unterdrückt worden. Es hungere nach Essen und Freiheit. Menschenrechte und Wohlstand des Landes seien geplündert worden. Der Iran scheitere auf allen Ebenen mit Ausnahme des "schrecklichen" Atom-Deals, den die Regierung Barack Obamas vereinbart habe, schrieb Trump. Seinen Tweet beendete er mit Großbuchstaben: "ZEIT FÜR EINEN WECHSEL!"

Es muss sich tatsächlich etwas ändern, und zwar schnell. Denn auch wenn man sowohl die Berichte der im Ausland befindlichen Opposition, als auch jene der Regierung über Angaben bezüglich des Verlaufes der Proteste nicht verifizieren kann: Eines ist gewiss. Das Regime ist nach der Krisensitzung vom Montag wach gerüttelt und weiß: so kann es nicht weitergehen.

Besänftigende Worte von Präsident Hassan Rohani sind ein Anfang, aber jetzt müssen Taten folgen. Die Arbeitslosigkeit und die Inflation pendeln zwischen 10 und 12 Prozent und die Mieten werden immer höher. Zudem hat der Atomdeal, Rohanis größte politische Errungenschaft, nicht die gewünschte Verbesserung der Wirtschaftslage gebracht. Viele europäische Banken weigern sich nach wie vor, mit dem Iran Geschäfte zu machen.

Parallel dazu kosten die Auslandseinsätze der iranischen Revolutionsgarden im Jemen, im Irak, in Syrien und im Libanon die Führung ein Vermögen. Geld, das im Inland fehlt. Summa summarum braucht das Land Wirtschaftsreformen und eine Abkehr von der Monopolisierung von Großbetrieben. Letztere werden bisher sehr oft von den Revolutionsgarden kontrolliert.

Ein anderes großes Problem sind die Menschenrechte. Am Montag nahm Rohani die Hardliner in die Pflicht: Bei einer Krisensitzung im iranischen Parlament, an der auch Mitglieder des Sicherheitsausschusses teilnahmen, sagte er, es wäre ein Fehler, die Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. "Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten".

Rohani: "Die Regierung hat nicht alles unter Kontrolle"

Rohani kritisierte damit indirekt die Hardliner, die die Umsetzung seiner politischen und kulturellen Reformen blockieren. "Aber die Regierung hat nicht alles unter ihrer Kontrolle", so Rohani, der als Präsident bei vielen strategischen Belangen nicht immer das letzte Wort hat und sich dem erzkonservativen Klerus beugen muss. Seiner Meinung nach sollten die Proteste nicht als Gefahr, sondern als Chance angesehen werden. Irans Oberster Geistlicher Führer, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, der selbst im Zentrum der Kritik steht, soll sich in den kommenden Stunden äußern.

Die Entscheidungen der Führung in Teheran in den kommenden Stunden und Tagen werden entscheidend sein. Es ist ein Spagat, der über den Fortbestand der Islamischen Republik entscheiden wird.