Zum Hauptinhalt springen

Die Jagd nach dem "Gottesteilchen"

Von Uwe Gepp

Wissen

Nach Cern-Panne ist Europa gegenüber den USA im Verzug. | Frankfurt/Main. (ap) Die schwere Panne am Teilchenbeschleuniger LHC könnte die Europäer eine der spektakulärsten physikalischen Entdeckungen seit Jahrzehnten kosten. Es bestehe die Gefahr, dass die US-Konkurrenz am Fermilab bei Chicago das lange gesuchte Higgs-Teilchen als erste nachweise, sagte der am LHC beteiligte Forschungsdirektor beim Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy), Joachim Mnich, der Nachrichtenagentur AP: "Es dürfte ein spannendes Rennen werden."


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Teilchenbeschleuniger des Europäischen Kernforschungszentrums Cern bei Genf muss wegen einer schadhaften Verbindung zwischen zwei supraleitenden Magneten repariert werden. Erst im September soll der LHC wieder angefahren werden. Inzwischen wissen die Teilchenphysiker aber ziemlich genau, wie schwer das Higgs-Boson sein muss, das den anderen Elementarteilchen erst ihre Masse verleiht.

Nobelpreis für Higgs?

"Die Amerikaner wissen, wonach sie suchen müssen", erklärte Mnich. Ihr Beschleuniger sei groß genug, um das Higgs-Teilchen zu finden, wenn es in dem derzeit vermuteten Massebereich liege. Das auch "Gottesteilchen" genannte Boson würde das sogenannte Standardmodell krönen, mit dem die Physiker die Welt im Kleinen hervorragend beschreiben können. Seine Existenz wurde 1964 vom Briten Peter Higgs postuliert, dem bei einem Nachweis der Nobelpreis sicher sein dürfte.

Das Higgs-Teilchen ist das letzte fehlende Teilchen im Standardmodell. "Es wäre das Sahnehäubchen, könnte sich der LHC mit der Entdeckung schmücken", sagte Mnich. "Wenn die Amerikaner das nötige Glück haben, muss man das aber auch anerkennen."

Beim LHC werden die Forscher nach der langen Verzögerung frühestens 2011 dazu in der Lage sein, erläutert Mnich. Vorher gebe es voraussichtlich nicht genug Daten. Denn obwohl es im LHC jede Sekunde 40 Millionen Zusammenstöße geben werde, entstehe das Higgs-Teilchen vermutlich nur einmal pro Minute. Der LHC wird aber sicher klären können, ob es das ominöse Teilchen überhaupt gibt. "Wenn wir es nicht finden, müssen wir nach einem anderen Mechanismus suchen, der die Masse der Elementarteilchen erklärt", erläuterte Mnich.

Gesucht: "Superpartner"

Der rund vier Milliarden Euro teure Teilchenbeschleuniger hätte mit dem Nachweis des Teilchens seine Schuldigkeit noch lange nicht getan. Die Wissenschafter erhoffen sich auch Aufschlüsse über das, was nach Goethe "die Welt im Innersten zusammenhält". So grübeln sie, wie sich die derzeit noch zwei Klassen von Elementarteilchen (Bosonen und Fermionen) zusammenführen lassen. Die Verfechter der Theorie einer Supersymmetrie sind der Meinung, dass es für jedes Elementarteilchen ein Gegenteilchen geben muss, den "Superpartner". Findet der LHC Hinweise auf deren Existenz, tut sich schon die nächste Tür auf: Einer dieser "Superpartner" steht nämlich im Verdacht, Baustein der Dunklen Materie zu sein, die 20 Prozent des Universums ausmacht.

Die schon von Einstein vergeblich gesuchte "Weltformel", also eine umfassende Theorie vom Aufbau des Universums, werde es wohl auch in 20 Jahren noch nicht geben, sagt Mnich. "Aber der LHC wird uns einen großen Schritt zu diesem ultimativen Ziel voranbringen."