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Die Jeanne d’Arc der Amtswege

Von Ania Haar

Politik
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Jeden Abend erwartet Iwona Jarzemski ein voller Wartesaal mit Hilfesuchenden.
© Jenis

Kompliziertes Amtsdeutsch wird für Migranten entziffert.


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Wien. Es ist 16 Uhr. Während andere in den Feierabend gehen, tritt Iwona Jarzemski ihren Dienst an. Bis spät in die Nacht hinein werkt sie in ihrem Büro am Rennweg 13 im 3. Bezirk. Was sich hinter ihrer roten Bürotür verbirgt, sind Probleme. Große Probleme, kleine Probleme, von Arm und Reich, Mann und Frau, von Migranten und Einheimischen. Und Iwona Jarzemski versucht sie alle zu lösen, so gut sie kann. Seit sieben Jahren betreibt die Juristin ein sogenanntes Schreibbüro. Sie schreibt Briefe, entziffert die komplizierte Amtssprache und erledigt auch Amtswege.

"Wir sind mehr als nur ein Schreibbüro, wir sind ein Beratungszentrum", sagt die gebürtige Polin über ihr "IBZ Polonia, Informations- und Beratungszentrum". Von der Steuerberatung über den Pensionsantrag bis hin zu ausstehenden Alimenten oder Ärger mit der Krankenkasse - Jarzemski sucht immer nach einem Ausweg.

Dienste werden schon einmal gratis erledigt

An einen Fall kann sich die 58-jährige Großmutter besonders gut erinnern. Eines Tages stand eine junge Frau mit ihrem Kind auf dem Arm an der roten Türschwelle. Sie war verzweifelt, ihr Mann hatte sie betrogen und ohne Geld sitzengelassen. Jarzemski nahm die junge Mutter vorübergehend bei sich auf, fand für sie eine Arbeit und eine Wohnung. Sie passte sogar samstags auf das Kind auf. Doch die Frau kehrte zu ihrem Mann zurück.

"Nie wieder mache ich so etwas", sagt Jarzemski heute und zieht an ihrer Zigarette. Dick steht der Qualm in ihrem geräumigen Büro. Die zierliche Frau betreut gerade einen Klienten. Der Mann wird sich ab Mai beim AMS melden müssen. Und er braucht einen Lebenslauf. Für Jarzemski kein Problem. "Erfinden kann ich nichts", sagt sie, "ich kenne Sie ja nicht. Schreiben Sie bitte, was Sie gearbeitet haben, und dann werden wir es übersetzen und alles korrekt aufschreiben."

Die Zahl der Schreibbüros für polnische Migranten lässt sich in Wien auf rund ein Dutzend schätzen. Einige von ihnen sind offiziell nicht gemeldet. Ihre Qualität ist oft fraglich und auch teuer. So zahlte neulich einer von Jarzemskis Klienten für das Ausfüllen eines Formulars und eine Gewerbeanmeldung 350 Euro. Bei der Juristin Jarzemski hätte das Ausfüllen des gleichen Formulars 20 Euro gekostet. Für einen Kunden, der seit Monaten keinen Lohn bekommen hat und einen Antrag auf Mindestsicherung stellen muss, kostet dieser Service gar nichts. Wenn das Geld da ist, wird abgerechnet. Ihre Kunden vertrauen Jarzemski, sie vertraut den Kunden. Es sei noch nie passiert, dass jemand nicht bezahlt hätte.

Ihr geht es um die Sache. Sie sei schon seit ihrem Studium befallen vom Helfersyndrom, meint Jarzemski, die 1981 nach Wien kam, um ihren Ehemann zu besuchen, der hier arbeitete. "Ich war gerade mit meinem Jurastudium fertig geworden und konnte kein Deutsch", erinnert sie sich. Nur brach in Polen der Kriegszustand aus, und sie blieb in Wien. Sie lernte Deutsch, studierte Handelswissenschaften und arbeitete bei einem Steuerberater. Nach zwei Jahren reichte es ihr. "Die vielen Zahlen interessierten mich nicht, mir fehlte der Kontakt zu den Menschen." Also ließ sie ihr Juradiplom nostrifizieren, holte Prüfungen nach, machte das Gerichtsjahr und ging auf Arbeitssuche. Vergeblich. "Mir war meine Aussprache egal, aber den potenziellen Arbeitgebern anscheinend nicht", vermutet sie heute.

Boom von Schreibbüros in der Migrantenszene

Sie machte ihr "Helfersyndrom" zum Beruf. Sie erinnert sich noch genau an ihren ersten Fall. Ein Ehepaar bekam keinen Fremdenpass, und obwohl alle Voraussetzungen erfüllt waren, wurde es von den Behörden abgewimmelt. Jarzemski ging mit den beiden zum Amt, blieb stur, verlangte nach einer Begründung - egal, ob positiv oder negativ, Hauptsache schriftlich. Zwei Wochen später waren die Pässe da. "Menschen können sich nicht wehren", resümiert sie. Es gibt aber auch Fällen, in denen die Juristin an ihre Grenzen stößt: "Es gibt andere Fachleute, die sind kompetenter als ich. Wenn ich nicht weiterkomme, schicke ich meine Kunden zu anderen Partnern."

Anfangs kamen nur Leute aus der polnischen Community zu Jarzemski. Mittlerweile betreut sie auch Tschechen, Slowaken, Ungarn und Russen. Auch ein türkisches Büro soll schon nach dem Vorbild des IBZ eröffnet worden sein. Schon mehrmals kamen auch Österreicher zu Jarzemski, die Hilfe in Polen brauchten oder eine Putzfrau suchten. "Auch da haben wir weitervermittelt", erzählt sie.

Dass vor allem Migranten ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen, hat nicht immer mit mangelhaften Deutschkenntnissen zu tun. Oft kennen sich die Menschen einfach nicht mit den hiesigen Verwaltungsstrukturen aus und verstehen das Amtsdeutsch nicht. Oder sie wollen für die Erledigung ihrer administrativen Angelegenheiten keine Urlaubstage verbrauchen und beauftragen deshalb Jarzemski damit, ihre Amtswege für sie am Vormittag zu erledigen.

Doch nicht immer erbarmt sich die Juristin der Hilfesuchenden. Einige Aufträge wird sie nie annehmen, egal wie viel Geld ihr dafür angeboten wird. Zum Beispiel, wenn ein Mann sich davor drückt, seine Alimente zu bezahlen. "Dafür habe ich kein Verständnis."

Es ist schon weit nach 21 Uhr am Rennweg, und Jarzemskis Büro ist noch immer offen. Sie packt noch einen Aktenordner in ihre Handtasche ein. Denn sie muss an diesem Abend auch zu Hause noch etwas schreiben.