Zum Hauptinhalt springen

Die Jobchancen, die keiner kennt

Von Stephanie Lehner und Bernd Vasari

Politik
Ob Designer oder Softwarehersteller: Die Kreativwirtschaft wächst und braucht Arbeitskräfte.
© © Laura Doss/Corbis

Betriebe suchen oft verzweifelt neue Fachkräfte, die es eigentlich schon gibt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Unter den Ausstellern der Migration. Wirtschaft. Messe findet sich auch das auf den ersten Blick ganz "normale" Kaffeehaus "the Connection" in Wien-Alsergrund. Seit Jänner 2012 können hier fünf junge Migranten sechs Monate lang arbeiten. Auch Deutschkurse und Workshops werden ihnen in dieser Zeit angeboten. Die sechs Monate sollen als Sprungbrett für den Arbeitsmarkt dienen.

"The Connection" betreut großteils junge Zuwanderer. In den Workshops lernen sie, wie man sich beim Arbeitgeber vorstellt, schließlich kann ein Bewerbungsschreiben in Afghanistan oder Rumänien ganz anders aussehen. Man wolle vermitteln, dass Migranten nicht nur als Pflege-, Putz- oder Kinderbetreuungskräfte arbeiten - eine unter den Jugendlichen verbreitete Vorstellung, sagt Valerie Schmidt-Chiari, die Gründerin von "the connection". "Sie gehen davon aus, in bestimmte Berufe gedrängt zu werden, selbst wenn sie im Herkunftsland studiert haben."

Viele Jugendliche wüssten wenig über Ausbildungs- und Förderungsangebote. Hemmungen und Ängste seien keine Seltenheit, wenn es darum geht, sich beim Arbeitsmarktservice (AMS) anzumelden: "Über unsere Jugendlichen kann ich sagen, dass sie sich wegen ihrer Sprachprobleme nicht hintrauen." Für einige sei es erschreckend, hier neu zu sein und zu verschiedenen Stellen geschickt zu werden. "Alles ist sehr bürokratisch. Es ist schwer, ihnen zu vermitteln, dass man ihnen bei diesen Stellen helfen will." Schmidt-Chiari und ihr Team machen ihnen klar, dass sie ohne Weiterbildung nicht weiterkommen: "Der Pflichtschulabschluss ist das Mindeste. Und bei jenen, die maturiert haben, sehen wir zu, dass sie studieren." Der Verein möchte den Jugendlichen auch zeigen, dass an sie geglaubt wird. "Es ist kein Problem, wenn man Deutsch nicht perfekt kann. Die eigene Sprache kann auch gefragt sein."

Weiters gibt es noch ein Buddy-System, das die Jugendlichen an freiwillige Erwachsene aus unterschiedlichen Branchen weiterleitet, die ihnen bei Bewerbungen, dem Erlernen der Sprache oder beim Erkunden der Stadt helfen. Der Verein hat für seine Arbeit den Social Impact Award der Wirtschaftsuni Wien erhalten.

In der Messe sieht Valerie Schmidt-Chiari eine große Chance, weil die Jugendlichen mehr über ihre Bildungsmöglichkeiten in Wien erfahren. Unterstützt wird die Karrieremesse von der Arbeiterkammer Wien (AK Wien), in deren Bildungszentrum (Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien) sie am Freitag und Samstag stattfindet. In der fehlenden Informationsvermittlung und Vernetzung von Migranten sieht auch Josef Wallner von der AK ein Hauptproblem. 30 Prozent aller Migranten arbeiten laut einer neuen Studie unter ihrer Qualifikation, was nicht nur ihnen schadet, sondern auch den Unternehmen. "Betriebe wissen oft nicht, dass es qualifizierte Migranten gibt, und suchen hängeringend nach neuen Fachkräften", berichtet Wallner.

Bei drei Workshops im Rahmen der Messe bietet die AK Wien Jugendlichen arbeitsrechtliche Infos, etwa zu Diskriminierung, Arbeitsverträgen oder auch Tipps für Bewerbungsgespräche. Man hofft hier eine neue Zielgruppe zu erreichen und auch dem Organisator der Messe - Networking Youth Career (NYC) - eine Plattform zu bieten. NYC besteht aus einem siebenköpfigen Team mit internationalem Background, das Jungerwachsene auf dem Karriereweg unterstützt.

Kreativwirtschaft boomt

Auch die Netzwerker von Austrian Talent Network (ATN) haben sich zum Ziel gesetzt, junge, migrantische Kreativtalente zu fördern. Ihnen geht es darum, sie mit der Kreativwirtschaft zusammenzubringen. Um Zugang zur Kreativbranche zu erhalten, brauche es ein Netzwerk und persönliche Kontakte, erläutert Projektleiter Geronimo-Noah Hirschal. Das könne ATN anbieten. Es wende sich primär an Migranten aus den unteren sozialen Schichten. Hirschal betont die Schwierigkeit für Jugendliche, aus diesen Schichten auszubrechen, da Eltern meist den Weg der Lehre und des Berufs für ihre Kinder forcieren. Durch Role Models sollen den Eltern auch andere Möglichkeiten gezeigt werden. Eine weitere Schwierigkeit ist der oft fehlende Ausbildungsweg: Viele Kreativberufe sind Jobs ohne Ausbildung.

Ob Werbemarkt, Software- und Games-Industrie, Designwirtschaft oder Kunstmarkt: Die Kreativwirtschaft boomt. Christian Lettner vom Wiener Wirtschaftsförderungsfonds bestätigt ihre Wichtigkeit für die Wiener Wirtschaft: 18.000 Unternehmen bieten derzeit 107.000 Personen eine Beschäftigung. Laut Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, werden bereits elf Prozent des Wiener Regionalprodukts im Kreativsektor erwirtschaftet - Tendenz steigend. Die Zielgruppe von ATN sind Migranten von 18 bis 35 Jahren. 50 Prozent der geförderten Talente sollen weiblich sein. Durch gezieltes Scouting und eine Bewerbungskampagne über Social Media und andere Medien sollen Interessierte aufmerksam gemacht werden.

Durch Mentoring werden fachliches Wissen und Erfahrungen weitergegeben. Der Mentee erhält Information über informelle Regeln und wird in Netzwerke eingeführt. Auch Unternehmensgründungen sollen unterstützt werden. Freie Stellen in der Kreativwirtschaft werden durch Kooperationspartner und ehemalige Dienstgeber evaluiert. Auch eine Zusammenarbeit mit dem AMS wird angestrebt, sagt Hirschal. Das AMS könnte Jobprofile aus der Kreativbranche zur weiteren in Arbeitsvermittlerprozessen erhalten. ATN will im ersten Jahr 20 Leute vermitteln. "Es ist abzusehen, dass wir das locker hinbekommen", kündigt Hirschal an.

Migration•Wirtschaft•Messe