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Die Jugend begehrt auf

Von Adrian Lobe

Gastkommentare
Adrian Lobe studiert Politik- und Rechtswissenschaft und ist freier Journalist in Tübingen.

London, Madrid, Tel Aviv, New York - 2011 ist schon jetzt das Jahr der Jugendproteste. Ein Kommentar über Motive und Beweggründe.


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Das Jahr 2011, so viel steht jetzt schon fest, steht ganz im Zeichen des Protestes. Tel Aviv, Madrid, New York, Santiago de Chile - auf der ganzen Welt demonstrieren junge Menschen gegen soziale Ungerechtigkeit und die Auswüchse des Finanzkapitalismus.

Die Jugendlichen sorgen sich um ihre Zukunft. Eine gute Ausbildung reicht heute lange noch nicht aus, um einen sicheren Arbeitsplatz zu finden. In Europa gibt es tausende arbeitslose Akademiker, die sich mit Aushilfsjobs oder befristeten Beschäftigungen über Wasser halten. Es ist eine verlorene Generation.

Der US-Soziologe Richard Sennett hat einmal geschrieben, der Kapitalismus löse seinen "meritokratischen Anspruch" nicht ein. Will heißen: Leistung lohnt sich nicht mehr.

In den 1960ern und 1970ern war das anders. Damals herrschte annähernd Vollbeschäftigung, die Wirtschaft brummte, und der Weg nach oben schien vorgezeichnet. Mit ein bisschen Glück und Fleiß schaffte man den sozialen Aufstieg. Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft, wie es der deutsche Publizist und Soziologe Helmut Schelsky formulierte, erlaubte vielen Arbeiterkindern, ein Leben in Sicherheit und Wohlstand zu führen. Doch diese Mittelschicht ist im Begriff zu erodieren. Die Gesellschaft wird zur geneigten Ebene: Hinaufkommen ist schwer, hinabschlittern leicht.

Die Jugendlichen treibt die Angst vor dem Abstieg. Vor allem die Kinder der Mittelschicht - sie machen mehr als zwei Drittel der Studierendenschaft an europäischen Universitäten aus - bangen um ihre berufliche Karriere. Die Jungen müssen einen immensen Aufwand betreiben, um den Lebensstandard ihrer Eltern aufrechtzuerhalten. Unermüdlich hasten sie durchs Hamsterrad der Gesellschaft. Das macht mürbe - und frustriert.

Die Proteste sind denn auch Ausdruck von Orientierungslosigkeit. Die Jungen strampeln sich ab, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Wie eine hilflose Schar von Lemmingen ziehen sie umher und werden von den Menetekeln der Wirtschaft eingeschüchtert.

Angst ist ein perfider Treiber. Sie macht die Jungen gehörig und gefügig - nicht jeder wagt es, seinem Unmut Luft zu machen. Manche Unternehmen machen sich diese Angst dienstbar. Sie etablieren ein System von Abhängigkeiten, in dem Angst zu mehr Leistung anspornen soll. Jedoch: Die Jugend hat genug geschluckt.

In den Protesten bricht sich ein latentes Unbehagen Bahn, das sich die Jahre über angestaut hat. Die Jugend kann nicht akzeptieren, dass die Regierungen unaufhörlich Schulden machen, die sie später einmal abbezahlen muss. Dass Banken Boni ausschütten und vom Steuerzahler gerettet werden. Dass Unternehmen ungebremst Schadstoffe in die Umwelt emittieren. Die Generationengerechtigkeit wird auf eine ernste Probe gestellt.

Es ist ein gutes Zeichen, dass die Jugendlichen sich Gehör verschaffen. Sie sind beileibe nicht die politikverdrossenen Eigenbrötler, als die man sie gerne abstempelt. Nein, die Jugendlichen wollen am Gemeinwesen partizipieren. Und für ihre Leistung honoriert werden.