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"Die jungen Kämpfer sind weg"

Von Ina Weber

Politik
Sabine Gretner arbeitet heute lieber bei der Caritas als in der Politik. Stanislav Jenis

Leidenschaftslose Politiker, mächtige Beamte, jahrhundertalte Strukturen.


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Wien. Die ehemalige Grünen-Gemeinderätin Sabine Gretner hat die Politik verlassen, als sie merkte, dass sie nichts mehr bewegen konnte. Politische Quereinsteiger würden schnell zermürbt, die Politik sei nicht lösungsorientiert und die Grünen seien auch nicht besser als die anderen Parteien. Politikverdrossenheit hat sie am eigenen Leib erfahren.

"Wiener Zeitung": Sie haben sich zehn Jahre lang in der Politik engagiert. Warum haben Sie aufgehört?

Sabine Gretner: Ich habe mir ursprünglich gedacht, dass ich in der Politik viel mehr bewegen kann als in meinem eigentlichen Beruf, der Architektur. Das war zeitweise auch so, vor zwei Jahren hatte ich dann endgültig das Gefühl, dass es zu wenig ist.

Was war der Auslöser?

Ein Unbehagen. Die Politik ist mir wie ein Schauspiel vorgekommen. Wir hatten ja auch kaum Zuhörer im Gemeinderat. Zur Bücherwoche im Rathaus etwa kamen sehr viele Menschen. Der Bürgermeister hat zu diesem Zeitpunkt die Regierungserklärung verlesen. Dort war niemand. Mir schien das so entkoppelt zu sein von der Welt. Dort waren die Politiker, die Journalisten und die Beamten und weit weg die Menschen. Als die Grünen im Jahr 2010 dann in die Regierung gekommen sind, wurde es schwierig. Die Erwartungshaltung war sehr hoch, die Ressourcen sehr gering.

Was kreiden Sie der Politik an?

Es braucht Menschen, die sich in einer Sache auskennen und inhaltlich darum kämpfen. Es geht in der Politik vor allem um das Verkaufen. Die Arbeit politisch zu verkaufen wird immer mehr, für etwas kämpfen immer weniger. Mein politisches Gegenüber hat oft nicht gewusst, wovon ich überhaupt spreche, zum Beispiel als ich die Bauordnung verhandelt habe, damit Balkone wieder leichter möglich werden. Die zuständigen Politiker, die auch heute noch da sind, haben mich mit großen Augen angesehen, aber letztlich zugestimmt.

Wie spielen Beamte und Politiker zusammen?

Ich habe das Gefühl, dass die Beamten immer mächtiger werden, weil die Politiker weniger wollen. Und die Beamten wollen generell eher den Status quo verteidigen, also ja nichts verändern. Natürlich gibt es engagierte
Ausnahmen. Wenn jemand doch etwas verändern will, stößt er
auf jahrhundertalte verkrustete Strukturen. Das ist mir zu wenig lösungsorientiert.

Ein Beispiel?

Alle Gesetzesvorlagen. Wer hat wirklich Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, das sind meistens die Referenten, aber die haben wiederum kein Verhandlungsmandat gegenüber den Beamten. Die Politiker wiederum sind nur noch am Verkaufen ihrer Interessen, kaum am inhaltlichen Gestalten. Das Ergebnis sieht man dann in den Nachrichten, es bewegt sich nichts. Es wäre jedoch unfair zu sagen, dass nur die Politik so ist. Die Oberflächlichkeit ist ein Abbild der gesamten Gesellschaft. Es geht um Geschwindigkeit, die Vermarktung des Ich und weniger um das Inhaltliche.

Gibt es auch welche, die nicht so sind?

Der Großteil macht mit und gefällt sich gut darin. Ich glaube, das ist auch der Grund für die Politikverdrossenheit der Leute, weil man nicht mehr weiß, wer wofür steht. Wie denn auch, wenn es nur noch um die politische Darstellung geht. Politikerpersönlichkeiten wie Bruno Kreisky gibt es nicht mehr. Ich bin mir sicher, dass einige Politiker in jungen Jahren auch noch Kämpfer waren und etwas wollten. Doch durch die Mühlen des Parteiapparates werden die Kanten geschliffen und übrig bleiben runde, selbstzufriedene Verwalter.

Das heißt, der Parteiapparat ist schuld?

Ja. Die meisten sind quasi vom Kindergarten weg nur in Gremien unterwegs. Zunächst hat man den Konkurrenzkampf, weil es nur eine gewisse Anzahl an Mandaten gibt und die, die eines haben, arrangieren sich, indem sie sich gegenseitig absichern. Quereinsteiger haben es da schwer. Die Mächtigen schützen sich demnach gegenseitig. Dann wird in Sitzungen ewig herumgesessen und man geht auf die Suche nach Verbündeten. Am Anfang macht das ja noch Spaß, mitzudiskutieren, allerdings darf man nicht ergebnisorientiert sein.

Die Grünen in Wien sind von der Opposition in die Regierung. Haben sie sich verändert?

Ja. Die Grünen sind erwachsener geworden. Als Opposition hat man es ja immer leichter, da kann man einfach schimpfen. Zuvor gab es bei den Grünen Einzelpersonen, die sich nur profilieren wollten. Heute müssen sie sehr geschlossen auftreten, sonst gehen sie unter. Allerdings haben die Grünen schon parteipolitische Formen angenommen, denen die anderen nicht so unähnlich sind. Das fördert nicht gerade das individuelle Engagement. Alle bedauern, wenn eine Marie Ringler oder ich gehen, aber niemand fragt nach oder überlegt, wie man den Nachwuchs stärken kann. Es gibt keine Feedback-Kultur. Da sind die Grünen vermutlich genauso wie jede andere Partei.

Hat die Politik ein Nachwuchsproblem?

Ja, aber nicht im Sinne von jungen Leuten, sondern von Quereinsteigern. Der Nachwuchs ist meistens die Verwandtschaft. Die Politik schwimmt da im eigenen Saft. Als Quereinsteigerin hat man da kaum Chancen oder man braucht einen langen Atem. In der Politik kann man im wahrsten Sinne des Wortes sehr schnell alt werden.

Was müsste passieren, damit sich die Politik ändert?

Es müsste uns budgetär wirklich schlecht gehen, damit sich etwas bewegt. Man irrt, wenn man glaubt, dass die Dinge in Europa so bleiben, wie sie waren. Es werden weiter Arbeitsplätze verloren gehen. Man müsste jetzt auf Bildung setzen. Aber auch hier gibt es einen Stadtschulrat, der komplett veraltet ist. Dass heute noch über die Schulen hinweg entschieden wird, hat vielleicht vor 100 Jahren funktioniert, ist aber nicht mehr zeitgemäß. Die Schulen sollten sich ihre Lehrer selbst aussuchen können. Man müsste über Parteigrenzen hinweg an Lösungen arbeiten und über den Tellerrand blicken. Auch ein Direktwahlrecht wäre sinnvoll.

Sie sind Architektin, wie finden Sie Wien als Stadt?

Wien hat Glück gehabt, im Vergleich zu anderen europäischen Städten gewisse Trends verschlafen zu haben. Es gibt kaum monotone Stadtrandsiedlungen. Es gibt herrliche Landschaftsräume in und um Wien. Die soziale Durchmischung hat in Wien auch viel besser funktioniert. Die Wohnadresse ist nicht so wichtig, so wie in anderen Städten. Allerdings ist momentan ein Druck zu spüren, weil Wien wächst. Da sollte man aufpassen, dass man das nicht überdreht, und diese Qualität aufgibt, weil dann wächst Wien nicht mehr, weil dann will keiner mehr da wohnen.

Zur Person

Sabine Gretner leitet seit 2011 das Ressort Gemeinwohlwesen für die Caritas Wien. Die studierte Architektin war ab 2001 Beraterin für die Grünen und von 2005 bis 2011 im Gemeinderat. Im Rahmen ihrer Arbeit für die Caritas Wien kümmert Gretner sich um das Zusammenleben in der Stadt mit Projekten wie Brunnenpassage und betreutes Wohnen.