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Die Wirtschaftskammerwahlen starten am Montag - der mächtige Wirtschaftsbund hat nichts zu befürchten.
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Wien. "Wirtschaftskammer? Ah, da zahle ich immer. Die kann man wählen?", sagt Ahmet L. Der gebürtige Türke mittleren Alters betreibt einen Imbiss-Stand in Wien-Landstraße. Diesen führt er sozusagen als Familienbetrieb, denn seine Frau und seine Kinder helfen immer wieder aus. Als Unternehmer ist auch er bei der kommenden Wirtschaftskammerwahl zwischen dem 23. und dem 26. Februar wahlberechtigt. Jetzt will er sich erkundigen, wo und wie er das machen kann.
Kleineren Fraktionen mehr Stimme geben
Die Buchhändlerin Martina Bartalszky hingegen kennt sich gut aus und wird "natürlich" wählen gehen. Sie gibt der Grünen Wirtschaft ihre Stimme, weil sie findet, dass die kleinen Fraktionen in der Kammer unterrepräsentiert sind. Bartalszky fühlt sich von ihrem Fachverband, der Buch und Medienwirtschaft, in den meisten Belangen gut vertreten. Trotzdem würde sie sich wünschen, dass die kleineren Abteilungen in der Wirtschaftskammer eine stärkere Lobby hätten.
Apropos Kleinere: Mittlerweile sind 57 Prozent der WKO-Mitglieder Ein-Personen-Unternehmen (EPU), in Wien sind es sogar 60 Prozent. Ihrer Sorgen und Nöte wollen sich vor allem der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV), die Grüne Wirtschaft und die Unos annehmen, die erstmals antreten. An der Zusammensetzung in den Wirtschaftsparlamenten der WKO und der neun Länderkammern wird sich aber aufgrund der Wahlordnung, die die stärkste Kraft begünstigt, wenig ändern.
Die Mehrheit des ÖVP-nahen Wirtschaftsbunds ist einzementiert. Nur in Wien könnte es sein, dass aufgrund des erstmaligen Antretens der Unos der Wirtschaftsbund die absolute Stimmenmehrheit (zuletzt 50,3 Prozent) verliert. Aufgrund des komplexen, mehrstufigen Wahlsystems würden die Unos, die unter anderem die Pflichtmitgliedschaft in der WKO abschaffen wollen, aber kein Mandat im Wiener Wirtschaftsparlament bekommen.
In Wien gehen die wenigsten Unternehmer zur WK-Wahl: 2010 war es lediglich ein Drittel der wahlberechtigten Wirtschaftstreibenden. Österreichweit lag die Wahlbeteiligung bei 40 Prozent. "Die, die mit der Kammer nicht zufrieden sind, gehen nicht zur Wahl", sagt Meinungsforscher Peter Hajek.
Kommunikationsexpertin Andrea Braunsdorfer gehört zu den Unzufriedenen. Als EPU fühlt sie sich von keiner der wahlwerbenden Gruppierungen angesprochen. Eigentlich wollte sie nicht wählen, hat aber einem Freund zuliebe mit Wahlkarte abgestimmt. Außerdem hat sie etwas gegen die Pflichtmitgliedschaft, in ihren Augen eine "Zwangsbeglückung".
Die für Mitglieder verpflichtenden Beiträge (Kammerumlagen) haben allen Kammern - Landeskammern und WKO - im Jahr 2013 zusammen Einnahmen von 500,2 Millionen Euro beschert. Inklusive sonstiger Einnahmen beliefen sich die gesamten jährlichen Einkünfte auf 654 Millionen Euro. Für Verwaltung, Personal und Pensionen gaben die Kammern 363 Millionen Euro aus. Davon entfielen rund 293 Millionen auf Personalausgaben, geht aus der Beantwortung einer von den Neos eingebrachten parlamentarischen Anfrage an das Wirtschaftsministerium hervor.
Alle Kammern verfügten zudem Ende 2013 über Rücklagen von 685 Millionen Euro. Die größte Ausgabenposition der WKO war 2013 die Außenwirtschaftsorganisation mit 90 Millionen Euro.
Mehr als ein Malzur Urne
Manche Unternehmer dürfen mehr als ein Mal ihre Stimme abgeben. Der Grund: Die WKO hat 486.674 Mitglieder. Aufgrund von Mehrfachmitgliedschaften in verschiedenen Fachorganisationen verfügen sie über insgesamt 641.535 Wahlrechte, sagt Ulrich Zellenberg von der Abteilung Recht und Organe der WKO. Es gilt 8905 Mandate in 591 Fachgruppenausschüssen und 266 Fachvertretungen zu vergeben.
So wie alle anderen EPUs hat auch ein Wiener Cafetier, der anonym bleiben will, nur eine Stimme. Und die hat er schon angegeben: "Ich habe am Montag meine Wahlkarte abgeschickt - mit einer Stimme für den Wirtschaftsbund." Er habe zwar den Eindruck, dass sich fast keine Partei für die Anliegen der Klein- und Kleinstunternehmen einsetzt, aber die ÖVP habe wenigstens Wirtschaftskompetenz, so der Kaffeehausbetreiber.
"SVA-Beiträge fallen den Selbständigen auf den Kopf"
Der selbständige Marktforscher Franz Simon hat ebenfalls schon per Wahlkarte gewählt. Wem er seine Stimme gegeben hat, will er nicht verraten, nur dass es nicht der Wirtschaftsbund war. "Der kümmert sich eher um die größeren Unternehmen." Und: "Die Baustelle SVA kriegen sie nicht hin. Die Beiträge fallen den Selbständigen auf den Kopf."
WKO-Präsident und Wirtschaftsbund-Obmann Christoph Leitl verlangt in seiner Funktion als Obmann der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) im Zuge der Steuerreform eine Gleichbehandlung von unselbständigen und selbständigen Arbeitnehmern. Leitl: "Wir wollen keine Privilegien, aber auch keine Diskriminierungen." Die SVA will weiters künftig die rückwirkende Auszahlung des Krankengeldes bei langer, über 42 Tage andauernder Krankheit ab dem 1. Tag erreichen. Derzeit gibt es Krankengeld ab dem 43. Tag. Ein Wiener Schuhmacher und Schlüsseldienstbetreiber meint dazu: "Ich kann es mir nicht leisten, krank zu werden, und andere auch nicht. Da wurschteln wir uns lieber durch."
Wissen
Die größte Fraktion in der Wirtschaftskammer ist derzeit der Österreichische Wirtschaftsbund (ÖWB) mit über 70 Prozent der Stimmen. Er ging mit dem Slogan "Entlasten. Vereinfachen. Ankurbeln." in den Wahlkampf. Bundesweit an zweiter Stelle liegt der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV), der knapp unter 12 Prozent erreichte. Am dritten Platz rangiert der Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RfW) mit 8,6 Prozent vor der Grünen Wirtschaft (5,8 Prozent). In den einzelnen Landeskammern sind zahlreiche unabhängige Fachlisten vertreten. Heuer treten auch erstmals die Neos mit ihrem Unternehmensableger Unos in sieben Bundesländern mit Ausnahme von Kärnten und dem Burgenland zur Wahl an. Die Kernforderung der Unos ist die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. Die Grüne Wirtschaft will sich für mehr soziale Absicherung der Selbständigen einsetzen. Das ist auch das Ziel des SWV, der auch eine steuerliche Entlastung der "Kleinen" fordert. Der RfW geht mit dem Credo "runter mit Bürokratie und runter mit Steuern" in die WK-Wahlen.