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Die Karawane zieht weiter nach Osten

Von Heike Hausensteiner, Göteborg

Europaarchiv

Bis Ende 2002 sollen die Verhandlungen zwischen den am weitesten fortgeschrittenen EU-Beitrittswerbern und der Union abgeschlossen sein. Bereits "als Mitglieder" sollen sie an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 teilnehmen. Das ist das wichtigste Ergebnis des EU-Gipfels von Göteborg, der am Samstag zu Ende ging. Die Kandidatenländer reagierten durchwegs positiv. Überschattet wurde das Gipfeltreffen freilich von den Krawallen, provoziert von Hooligans, die sich unter die friedlichen Demonstrationen mischten.


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"Der Erweiterungsprozess ist unumkehrbar", lautet die Schlussfolgerung von Göteborg. Schweden hat unter seiner EU-Präsidentschaft Druck gemacht, die Erweiterung der Union voranzutreiben. Die Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen wurden denn auch von den EU-Kollegen kräftig gelobt. Die Beitrittskandidaten - geschockt vom negativen Irland-Votum zum Nizza-Vertrag - waren mit großen Erwartungen nach Schweden gereist, konkrete Daten zugesagt zu bekommen. Zufrieden über das von den EU-15 ausgesendete "Signal" sind sie wieder abgereist. Doch der Verhandlungsabschluss bis Ende 2002 für die besten Beitrittswerber und die Teilnahme an den Europa-Wahlen 2004 "als Mitglieder" sind politische Absichtserklärungen der EU. Um das Ziel zu erreichen, wird den Kandidatenländern der Ball zugespielt. Von ihnen hänge es ab, ob sie die Vorgaben tatsächlich erreichen. Von ihnen wird verlangt, dass sie noch "adäquate" Verwaltungsstrukturen schaffen oder etwa ihr Justizsystem reformieren müssen.

"Ich habe kein Problem damit, dass die Beitrittsverhandlungen mit den besten Ländern 2002 abgeschlossen werden", meinte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei seiner Abschlusspressekonferenz in Göteborg. Doch ob sie es bis dahin schaffen, liege an den Ländern selbst. Die Eigenleistung der Kandidaten müsse erst beurteilt werden, betonte auch Deutschland. Kanzler Gerhard Schröder warnte vor der Gefahr, dass mit der Festlegung von Daten Inhalte verloren gehen könnten. Das Ziel der Teilnahme an den Europa-Wahlen sei so offen gehalten, dass Deutschland zustimmen könne. Denn verzögert werden kann die EU-Erweiterung in den Beitrittsländern ebenso wie in den EU-Mitgliedstaaten.

Im kommenden Jahr finden in Deutschland und Frankreich Bundeswahlen statt. Zudem ist das schwierige Kapitel Landwirtschaft - der Budgetposten macht fast 50 Prozent des EU-Haushalts aus - noch nicht eröffnet. Die Verhandlungen darüber sollen im Juni 2002 starten. Ob eine Einigung mit den beiden großen EU-Mitgliedern unter dem Eindruck des Wahlkampfes bis Ende 2002 zu Stande kommt, muss erst abgewartet werden. In Polen, dem mit fast 40 Millionen Einwohnern größten EU-Beitrittskandidaten, stehen bereits im kommenden Herbst Parlamentswahlen an. Die Verhandlungsfortschritte Polens, das erst 16 von den 31 Kapiteln des EU-Rechtsbestands fertig verhandelt hat, dürften durch den Urnengang und die anschließende Regierungsbildung gebremst werden. Sollten sich die Beitrittsverhandlungen verzögern und mit der ersten Kandidatengruppe nicht vor Ende 2002 abgeschlossen werden, dürfte die EU-Osterweiterung eine stärkere Rolle auch im österreichischen Wahlkampf spielen; die nächsten Nationalratswahlen finden planmäßig im Herbst 2003 statt.

Nationale Wahlen könnten Erweiterung verzögern

Einen Beruhigungsversuch für die Beitrittskandidaten gab es in Göteborg vom irischen Premierminister Bertie Ahern. Er erklärte, weshalb 530.000 seiner Landsleute zu 54 Prozent gegen die geplante Änderung in der irischen Verfassung gestimmt haben, die die Ratifizierung des Nizza-Vertrags erst ermöglicht: Sorge um die irische Neutralität und Angst vor Souveränitätsverlust, nannte Ahern als Gründe. Das Votum sei nicht gegen die Erweiterung gerichtet gewesen, versicherte der irische Premier, der sich ausdrücklich zur Aufnahme neuer EU-Mitglieder bekannte. Irland setzt nun auf Zeit und hat die EU-Partner um eine Nachdenkpause ersucht. Eingesetzt werden soll ein "Nationales Europa-Forum", das den Iren - unter Beteiligung der Sozialpartner - die europäische Integration näher bringen soll. Zudem strebt Irland eine Änderung an bei der Bestimmung, wonach für ein Referendum keine Steuergelder eingesetzt werden dürfen. Die zweite Volksabstimmung über die Verfassungsänderung, die die Verabschiedung des Nizza-Vertrages ermöglicht, dürfte in der kleinen Inselrepublik nicht vor Beginn des nächsten Jahres abgehalten werden. Absolute "deadline" ist Dezember 2002, denn bis 1. Jänner 2003 muss der Vertrag in allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden sein.

Beim EU-Rat habe man keinen Druck auf Irland ausgeübt, gab sich Bundeskanzler Schüssel zufrieden. Er ortete "einen neuen Umgang mit Dingen", auch im Zusammenhang mit der neuen italienischen Regierung. Die EU habe "aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt", so Schüssel. Froh zeigte er sich über die geplante Schaffung eines "öffentlichen Forums" zur Zukunft Europas. Dass durch die erneute Erweiterung der NATO die EU und insbesondere Österreich verstärkt unter Druck geraten, sieht Schüssel nicht. US-Präsident George W. Bush hatte sich beim EU-USA-Gipfel in Göteborg im Vorfeld des eigentlichen EU-Rates für die Erweiterung der NATO und der EU ausgesprochen. Bei der NATO-Konferenz nächstes Jahr in Prag gelten Slowenien und die Slowakei als neue Mitglieder als wahrscheinlich. Österreich würde dann eine "neutrale Insel" bilden.