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ÖVP und FPÖ wollen Krankenkassen zusammenlegen. Bevor die ärztliche Versorgung nicht abgesichert ist, ist das nutzlos.
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Wien. Die ersten Anläufe dafür gab es in den 1990er Jahren, nun möchte die mögliche neue Koalition aus ÖVP und FPÖ probieren, woran bereits die Regierungen der vergangenen Jahre gescheitert sind: Die Zahl der 22 Sozialversicherungen soll reduziert werden. Dieses Ziel ist auch im Fahrplan, den beide Parteien vor zwei Wochen präsentiert haben. Überlegungen, die neun Gebietskrankenkassen in eine große Kasse zusammenzufassen, gibt es schon länger. In den Bundesländern regt sich aber wieder Widerstand gegen das nun schwarz-blaue Vorhaben.
Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner fordert die Beibehaltung der neun Gebietskrankenkassen. Dies sei eine rote Linie. "In die Tasche greifen lassen wir uns sicher nicht", sagte er. Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser spricht sich dagegen aus. Davor müssten erst die Hausaufgaben gemacht und die Leistungen der Kassen angeglichen werden. Auch aus Oberösterreich kam eine Absage. "Wenn ich von keinem besseren Modell höre oder erfahre, bin ich dafür, dass wir unsere Länderkassen erhalten", sagte Landeshauptmann Thomas Stelzer. Und auch die Gesundheitsreferenten in den Bundesländern schickten ein klares "Nein" nach Wien.
Für Leo Chini, Leiter des Forschungsinstitutes für Freie Berufe an der Wirtschaftsuniversität Wien, begehen die Koalitionsverhandler ohnehin einen in dieser Diskussion immer wiederkehrenden wie kapitalen Fehler: ÖVP und FPÖ beginnen mit den Details, nicht mit den wesentlichen Problemen. "Wenn der Ärztemangel nicht gelöst ist, braucht die Regierung über gar nichts in diese Richtung nachzudenken", sagt Chini. "Durch Pensionierungen verlieren wir in den nächsten Jahren laufend Ärzte und gleichzeitig bleiben die Turnusärzte weg." Das sei längst kein langfristiger Trend mehr, "das erleben wir tagtäglich." Wenn die ärztliche Versorgung nicht sichergestellt ist, brauche die Politik nicht darüber diskutieren, wie viele Kassen es brauche oder wie man zu einheitlichen Leistungen komme. "Wir reden über Einsparungen in der Verwaltung, haben aber bald nichts mehr zu verwalten", sagt Chini. "Wenn ich nicht einmal weiß, wie ich die Versorgung sicherstellen kann, was interessiert es mich, was ich bei Versicherung A bekomme, das ich bei Versicherung B nicht bekomme. Ich bin froh, wenn überhaupt jemand da ist." Das System der Kassen sei wie ein Kabelsalat. Eine echte Reform dauere lange und sei sehr komplex. Was aber nicht heiße, dass man nichts machen könne oder sollte.
"Das wäre ein Super-GAU"
Nicht nur der Rechnungshof beklagt ein Kompetenzwirrwarr und ein ineffizientes System. Bevor man über eine Reform der Struktur nachdenken sollte, seien noch andere Aufgaben zu lösen, sagt Chini. Ein Beispiel dafür sind die Leistungen, bei der die Sozialversicherung nur "Durchreicher" ist. Diese müssten herausgenommen werden. Das betrifft etwa die Spitalsfinanzierung oder die Administration des Kinderbetreuungsgeldes. "Das ist unsinnig und verursacht nur Verwaltungskosten. Das kann das Finanzamt machen", sagt Chini. Aber er betont, dass aus der Fusion der Verwaltung "nur" einige Millionen, nicht Milliarden zu holen sind. Der Aufwand liegt bei weniger als drei Prozent, ein im EU-Vergleich niedriger Wert.
Ab Jänner seien die Leistungsunterschiede der Gebietskrankenkassen in den Ländern nur noch marginal, erklärt der Generaldirektor der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, Jan Pazourek. Den Vorstoß bezeichnet er "als Treppenwitz". Die großen Unterschiede bei den Leistungen gebe es zu den bundesweiten Trägern: Beamtenversicherung (BVA) Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVB), Sozialversicherung der Bauern (SVA) und der Eisenbahner- und Bergbauversicherung. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, verabsäume dies aber.
Eine Eingliederung dieser Sonderformen in die Länderkassen ist aber gar nicht so einfach. Zuletzt hat sich die BVA entschieden dagegen gewehrt. Die GKK müssen eine hohe Zahl an Arbeitslosen und Pensionisten stemmen. Bei den Beamten gibt es praktisch keine Arbeitslosigkeit, weshalb die BVA auch Überschüsse hat. Mit einer Eingliederung könnten die Belastungen der meist defizitären Länderkassen abgedämpft und die Beiträge gerechter verteilt werden, sagen Experten. Diesem Plan stehen parteiideologische Gründe entgegen.
Pazourek sieht jedenfalls mehr Reformbedarf bei den bundesweiten Trägern. Insgesamt würden die Reformprozesse zwischen Spitälern und dem niedergelassenen Bereich voranschreiten. Diese zu stoppen, wäre ein Super-GAU, sagt er. Außerdem gibt Pazourek zu bedenken, dass bei einer einzigen großen Gebietskrankenkasse die Beschaffungsvorgänge europaweit ausgeschrieben werden müssten, alleine aufgrund der Größe. Dann könnte man nicht mehr im Bundesland oder in Österreich einkaufen: "Das wäre ein enormer wirtschaftlicher Schaden."
Eine Kassenfusion kann auch als Kampf gegen den Föderalismus verstanden werden. Die Sozialversicherungen sind Selbstverwaltungskörper, das Sozial- und das Gesundheitsressort nur eine Dienstaufsicht. Entscheidungen werden von den Sozialpartnern in den Bundesländern gefällt.