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Die Katastrophe ist noch nicht vorbei

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Pakistans Bevölkerung leidet seit zwei Monaten unter den Folgen der Flut - die Regierung glänzt durch Tatenlosigkeit. Gleichzeitig vertun die USA eine wertvolle Chance.


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Obwohl es jetzt zwei Monate her ist, wirkten die Älteren im pakistanischen Dorf Pir Sabak noch immer wie gelähmt, als ich sie nach der Flutkatastrophe fragte. Sie haben alles verloren. Als das Wasser zurückging, kam es ans Licht: Ihre östlich von Peshawar gelegenen Häuser und Felder sind völlig zerstört. Mehr als 24.000 der 31.000 dort ansässigen Menschen sind obdachlos. "Alles war unter Wasser - Gewand, Schuhe, Geld - alles kaputt", erzählte Hasan Nawab, ein 35-jähriger Bauer. "Wie sollen wir leben?", fragte sein Nachbar. "Nur Gott weiß das."

Bei diesen Menschen hat das nackte Elend Einzug gehalten: Sie leiden nicht nur unter fortgesetztem Unglück und schlechtem Wetter, sondern auch unter der miserablen Sicherheitslage des Landes und - von all dem am schlimmsten - unter einer schwachen Regierung. Sie sind völlig auf Hilfe angewiesen. Die Zelte, in denen sie schlafen, stellt der türkische Rote Halbmond zur Verfügung. Um Lebensmittel, medizinische Versorgung und Mittel für den Wiederaufbau kümmern sich pakistanische Hilfsorganisationen.

Und was tut Pakistans Regierung, um den Opfern zu helfen? Nichts, gar nichts, sagen die Flutopfer. Und das scheint im ganzen Land so zu sein, wo 20 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Die Regierung wirkt schwach und desorganisiert. "Die Regierung war auf diese Art von Katastrophe nicht vorbereitet, das macht sie sprachlos", sagt Azhar Saleem, Chef der Human Development Foundation.

Armes Pakistan: Die Flut hat die nationale Stimmung, die bisher oft schon am Rand der Verzweiflung war, noch mehr verdüstert. Egal ob flutgeschädigte Bauern oder Geschäftsleute in einem Kricketklub in Islamabad, alle sagen das Gleiche: Pakistans Probleme verschlimmern sich, und die schwache Regierung ist ihnen nicht gewachsen. Alle wünschen sich eine stärkere politische Führung, aber keiner weiß, woher die kommen soll.

Die Schlagzeilen in der pakistanischen Presse spiegeln das nationale Unbehagen wider. Da fragen "The News", bezogen auf jüngste Streitereien der Regierung: "Steuert das Land auf die Ausweglosigkeit zu?" Die "Daily Times" spricht von "Demokratie am Rande des Abgrunds", und "Dawn" sieht die "Regierung in Gefahr". Und das ist nur der Pessimismus eines Tages.

Die Taliban scheinen aus der Katastrophe keinen Vorteil zu gewinnen, das dürfte das einzig Positive sein. Die Bewohner von Pir Sabak berichteten, sie hätten niemanden von den aufständischen Taliban zu Gesicht bekommen. Und Analysten in Islamabad bestätigten, dass die entstandene Unordnung den Taliban keinen Gewinn bringe. "Diese Leute überwintern gerade", sagt Saleem: "Im Moment haben sie nicht die Mittel, um den Opfern zu helfen."

Ein Besuch in Pakistan erinnert aber auch daran, dass man gläubige Muslime nicht automatisch mit Extremisten gleichsetzen darf. Als ich hier ankam, wurde gerade ein großes Zelt errichtet, das als Moschee dienen soll - noch bevor es eine Möglichkeit für Schulunterricht gibt.

Die USA haben sich große Mühe gegeben, humanitäre Hilfe zu leisten. Das meiste davon bleibt für die Pakistaner allerdings weitgehend unsichtbar. Sie hören viel von US-Drohnenangriffen, kaum aber etwas von den Hubschraubern, die Lebensmittel bringen. Im Gegensatz dazu sind türkische, britische und andere europäische Hilfsorganisationen sehr präsent. Die USA vertun eine Chance. Die Menschen hier brauchen dringend Hilfe und werden sich an ihre (sichtbaren) Helfer erinnern.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung