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Die Kehrseite öffentlicher Sparpolitik

Von Erich Dallhammer

Gastkommentare

Eine Antwort auf den "New Deal ländlicher Raum" - es braucht wieder einen regionalen Ausgleich.


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Vor einer Woche forderte Gerald Mathis an dieser Stelle einen "New Deal für den ländlichen Raum". Er kritisierte, dass die bisherigen Programme der Regionalentwicklung kaum Wirkung zeigen, und mahnte Maßnahmen ein, um auch in ländlichen Regionen Arbeitsplätze zu schaffen. Nun antwortet Erich Dallhammer, Geschäftsführer des Instituts für Raumplanung, darauf.

Gerald Mathis spricht von einer Spaltung Österreichs aufgrund der Disparitäten zwischen Stadt und Land, wo Abwanderung und Perspektivenlosigkeit häufig anzutreffen sind. Seine Analyse greift jedoch zu kurz.

1. Den ländlichen Raum an sich gibt es schon lange nicht mehr. Es gibt ländlich geprägte Gemeinden im Umland der Städte mit vielen Arbeitsplätzen und hohen Einkommen. Es gibt ökonomisch gut aufgestellte Tourismusgemeinden, insbesondere in Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Und es gibt die schlecht erreichbaren Gemeinden in inneralpinen Tälern, in der Südoststeiermark und im Südburgenland ebenso wie im nördlichen Wein-, Wald- und Mühlviertel. Die simple Stadt-Land-Teilung ist überholt. Manche "ländliche" Gemeinden in Ballungsräumen, etwa das Vorarlberger Rheintal, sind Städten viel ähnlicher als einer Gemeinde im Lavanttal. Nicht der ländliche Raum an sich, sondern die peripheren Gemeinden haben mit negativen Entwicklungen besonders zu kämpfen.

2. Der Verlust der Arbeitsplätze in den peripheren ländlichen Räumen ist nicht auf eine verfehlte Förderpolitik oder gar der falschen Ausbildung der Akteure der Regionalentwicklung zurückzuführen. Die Ursachen liegen vielmehr im herrschenden wirtschaftspolitischen Grundkonsens unserer Gesellschaft. Unternehmungen und Dienstleistungsbetriebe wie Banken ziehen sich auf die für sie mehr Profit abwerfenden Regionen in den Ballungsräumen zurück. Privatwirtschaftlich agierende Telekommunikationsanbieter bieten eben nur dort Hochleistungs-Internetverbindungen an, wo der Return of Investment auch die besten Renditen abwirft. Die Schließung von Polizeidienststellen, Postämtern, Bezirksgerichten, Schulen etc. folgt gesellschaftspolitisch vorgegebenen ökonomischen Einsparungszielen der öffentlichen Verwaltung. Dünn besiedelte, schlechter erreichbare Gemeinden verlieren damit Arbeitsplätze. Das ist der nun beklagte Nebeneffekt der herrschenden Wirtschafts- und Sparpolitik.

3. Für die Priorität des Sparens der öffentlichen Hand und der Gewinnmaximierung der Privaten wurden in den 1980er und 1990er Jahren die entsprechenden politischen Zielsetzungen formuliert. Dies war in Österreichs Vergangenheit nicht immer so. Früher ging es um regionalen Ausgleich, um die Förderung von benachteiligten Gebieten. Es gab das Ziel, jedem Haushalt einen Telefonanschluss zu bieten, jedem Kind einen Zugang zu höherer Bildung durch eine AHS mit einem zumutbaren Schulweg zu ermöglichen und jeden Bauernhof mit einer staubfreien Straße zu erschließen. Die Trends, die wir heute beklagen, sind kein Naturgesetz, sondern die negative Seite der Spar- und Effizienzpolitik.

Ortskernen wird die Lebensgrundlage entzogen

4. Die von den Gemeinden selbst gesteuerte Siedlungsentwicklung treibt die Ausdünnung der Versorgungsinfrastruktur an, indem sie ihr das erforderliche Kundenpotenzial im Einzugsbereich entzieht. In ländlichen Gemeinden abseits der Ballungsräume und der Fremdenverkehrsgebiete ist der Baugrund relativ billig. Dort entstehen nach wie vor locker bebaute Einfamilienhaussiedlungen. Für die Gemeinde entstehen einerseits Folgekosten für Errichtung und Betrieb von Straßen, Kanal, Abwasserversorgung etc. - Geld, das woanders fehlt. Andererseits erschwert die geringe Siedlungsdichte einen wirtschaftlich vertretbaren Betrieb von öffentlichen Verkehrsmitteln und Versorgungseinrichtungen.

Geschäften und Einrichtungen in den Ortskernen, die ein bestimmtes Potenzial an Kunden - am besten in Fußwegentfernung - zum wirtschaftlichen Überleben brauchen, wird durch die lockere Bebauung die ökonomische Basis entzogen. Damit entsteht für die Bewohner der Zwang, für die täglichen Wege das Auto zu benützen. Und wenn jemand im Auto sitzt, ist es egal, ob man 5 Kilometer ins Ortszentrum oder 25 Kilometer zum nächsten Einkaufspark fährt. Kaufkraft fließt ab.

5. Ob jemand in einer Gemeinde bleibt oder wegzieht, hat zweifellos vordringlich mit der Verfügbarkeit eines Arbeitsplatzes in zumutbarer Pendeldistanz zu tun. Aber die Leute sind tolerant. Fahrzeiten von bis zu einer Stunde werden akzeptiert. Ist in dieser Entfernung eine Stelle vorhanden, hängt die Entscheidung, ob jemand in einer Gemeinde bleibt, vom Angebot und dem gesellschaftlichen Klima ab. Können Jugendliche etwas selbst auf die Beine stellen oder werden ihnen von der Gemeinde Hürden aufgestellt? Gibt es Kinderbetreuung schon für einjährige Kleinkinder? Lassen sich Beruf und Familie für alle Familienmitglieder unter einen Hut bringen? Werden weniger traditionelle Lebensweisen abseits vom Bild des Mannes als Ernährer und der Frau mit Zuständigkeit für die Kinder akzeptiert? Gerade junge Frauen lassen sich immer weniger in traditionelle Rollenbilder pressen. Passt das Umfeld, bleiben sie gerne. Gemeindepolitik hat da durchaus einen Gestaltungsspielraum.

6. Mathis überschätzt auch den Einfluss von Förderungen. Sie können negative Entwicklungen abfedern, positive Ansätze stärken, die in der Region Aktiven durch Zuschüsse oder günstige Kredite unterstützen. Sie können auch Verhalten lenken, wie die Förderung für ökologische Maßnahmen. Aber Förderungen können Trends nicht umkehren. Dazu braucht es andere Ansätze.

Eine umfassende Richtungsänderung ist nötig

Ein "New Deal" für Österreich kann nicht isoliert für den ländlichen Raum entwickelt werden. Ein "New Deal" für Österreich müsste - analog zur Politik der USA der 1930er Jahre - eine umfassende Richtungsänderung der Politik beinhalten: Ein Abgehen von der ökonomischen Effizienzsteigerung der öffentlichen Hand und dem unbegrenzten Vertrauen in die positive Wirkung der freien Marktkräfte sind erforderlich. Denn diese Politik hat die Konzentration der öffentlichen und privaten Mittel auf die Ballungsräume gebracht. Will man den peripheren ländlichen Raum unterstützen, muss das Ziel des regionalen Ausgleichs und der gleichwertigen Lebenschancen in allen Regionen Fokus öffentlicher Anstrengungen werden.

Dazu braucht es das österreichweite Wissen, welche Regionen welche Entwicklungsherausforderungen haben. Die Karten, die der Politik die Problemgebiete der regionalen Entwicklung klar zeigen, sind über 30 Jahre alt. Der Stadt-Land-Unterschied ist zu grob und klischeehaft, um die Problemlagen auch nur annähernd darzustellen. Erst wenn man weiß, welche Region welchen Aufholbedarf hat, kann man gezielt reagieren.

Dann braucht es quer durch alle Bundesländer und Ministerien einen Grundkonsens, in welchen Regionen welche Maßnahmen zur Erhöhung der Chancengleichheit ihrer Bewohner und Bewohnerinnen erforderlich sind. Jeder trägt dann aus in seinem Bereich mit seinen Mitteln dazu bei. Dass der periphere ländliche Raum Österreichs im europäischen Vergleich (etwa Frankreich oder Osteuropa) noch relativ gut dasteht, ist ein Ergebnis vergangener regionaler Ausgleichspolitik. Wirtschaftsförderungen können dann ein Baustein dazu sein.

Gastkommentar

Erich
Dallhammer

ist Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Raumplanung (ÖIR), das sich mit Regional- und Wirtschaftsentwicklung sowie mit Raum- und Verkehrsplanung von Regionen und Städten in Österreich und Europa beschäftigt.

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