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Die Kinder und ihre Feinde

Von Marcus Franz

Gastkommentare

Ein gewolltes Dasein ohne Kinder kann keine respektable Maxime sein, wenn man in einer funktionierenden Gesellschaft leben und von derselben profitieren möchte.


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Die Diskussion um die Überalterung der Gesellschaft ist von einer einäugigen Sichtweise geprägt: Statt uns zu freuen, dass wir so lange leben wie nie zuvor, echauffieren wir uns über den zunehmenden Altenanteil in der Bevölkerung. Was Österreichs Demografie nachhaltig stört, sind aber nicht so sehr die vielen Alten, sondern ist vielmehr das Zeitgeistphänomen der gewollten Kinderlosigkeit. Dieses gehört heute zu den Normvarianten individueller Lebensentwürfe und wird von der Allgemeinheit mehr oder weniger respektiert.

Ein gewolltes Dasein ohne Kinder kann aber keine respektable Maxime sein, wenn man in einer funktionierenden Gesellschaft leben und von derselben profitieren möchte. Auch Nachwuchsverweigerer sind Nutznießer jener Funktionalitäten, die nur das regelmäßige Nachwachsen neuer Generationen gewährleistet. Solidarische Strukturen wie die soziale Kranken- und Pensionsversicherung können nur durch ausreichend vorhandene jüngere Leistungsträger aufrechterhalten werden. Die gewollte Kinderlosigkeit ist daher zu verurteilen, weil sie keine brauchbare gesellschaftliche Perspektive bietet. Egozentrisch, demografisch kontraproduktiv und die Gesellschaft ökonomisch belastend ist sie sowieso.

Wer sich dazu bekennt, bejaht implizit auch eine nihilistische und lebensfeindliche Weltanschauung. Hedonistische Erfüllung und materialistischer Erfolg gelten dann als Primärziele, Kinder als Störfaktor. Ein Feigenblatt dieses latenten Nihilismus ist das Vorhaben, später ohnehin einmal Familie haben zu wollen. Die Karriere oder die durch Kinder entstehende Doppelbelastung der berufstätigen Frau sind gängige Begründungen, die Familienplanung hintanzustellen. Mit diesem prolongierten Selbstbetrug wird der flauen Geburtenrate samt ihren negativen Folgen permanent Vorschub geleistet. (Bezieht man übrigens die Abtreibungszahlen in demografische Betrachtungen mit ein, so lässt sich errechnen, dass die Schwangerschaftsabbrüche alle zehn Jahre eine Stadt in der Größe von Graz ausrotten).

Paradoxerweise macht sich gerade durch den Materialismus ein zunehmender finanzieller Druck breit, der auch noch die rationalen Argumente dafür liefert, kinderlos zu bleiben: "Kinder kann ich mir nicht leisten." Kinderlosigkeit lässt sich immer rechtfertigen: Die einen rekurrieren auf ihre grundsätzliche Entscheidungsfreiheit, die anderen berufen sich auf politische und gesellschaftliche Umstände, die das Kinderhaben zum Nachteil machen.

Allerdings trifft die hier gestellte Diagnose bei den bildungsfernen Schichten deutlich weniger zu als bei den Gebildeten: Mehrkindfamilien sind bei Bildungsfernen häufiger anzutreffen als in Akademikerkreisen. Migranten haben überhaupt die höchsten Nachwuchsraten. Die Rettung der Altengesellschaft wird also von "unten" und von "außen" erfolgen (müssen), wenn sich unsere Intellektuellen, Hedonisten und Karrieristen nicht eines Besseren besinnen und dem Nachwuchs wieder höheren Stellenwert einräumen.

Marcus Franz ist Ärztlicher Direktor des Hartmannspitals

in Wien.