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Die größte Aufgabe besteht darin, wieder mehr Personal zu gewinnen.
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Der Kindergarten ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie sehr Bedürfnisse heute auseinanderklaffen. Nicht zuletzt durch drohende Armut und befeuert durch den Arbeitskräftemangel müssen immer öfter beide Elternteile arbeiten, was für viele nur möglich ist, wenn es ein möglichst den gesamten Tag abdeckendes, externes Kinderbetreuungsangebot gibt. Doch geprüftes Personal verlässt in großer Zahl wegen dauerhafter Überforderung die Kindergärten - und ein Teil der Absolventen der betreffenden Ausbildungseinrichtungen verweigert sich dem erlernten Beruf.
Warum? Eine Vielzahl von Gründen - in ihrer Gewichtung differieren sie in den einzelnen Bundesländern - ist für diese Schieflage verantwortlich. Kurzfristig: Eine informelle Schätzung der Sozialpartner sagt, die einzig sinnvolle, weil wirksame Sofortmaßnahme zur kurzfristigen Behebung des Personalmangels in der Elementarbildung wäre zumindest eine Verdoppelung des Verdienstes. Hier ist das Motto "Koste es, was es wolle" ganz besonders angebracht - es geht um fundamentale, um lebensprägende Bedürfnisse der Kinder, um Armutsvermeidung für zigtausende Familien und um die fundamentalen Bedürfnisse der Gesellschaft insgesamt.
Ehrenamtliche Helferinnen?
Kurzfristig Entspannung schaffen könnte es allenfalls, "Feminae Probatae" - also Mütter und Großmütter mit ausgewiesener Erziehungserfahrung - zu finden, die ehrenamtlich tageweise im Kindergarten helfen würden. Einzelne in Frage kommende Personen müssten gezielt angesprochen werden. Ähnliches gibt bereits es in Schulen mit tausenden ehrenamtlichen "Lesepaten", größtenteils ohne pädagogische Ausbildung - noch dazu in einem ausgewiesenen Kernbereich der Schule.
Laut Wirtschaftswissenschaft nehmen Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft, Naturalien- und Tauschhandel zu. Wenn im Sog dieses Trends ehrenamtliche Arbeit im Sinne von Nachbarschaftshilfe an Akzeptanz gewinnt, dann wäre dies ein Kollateralnutzen der genannten Entwicklungen. Dem System "Feminae Probatae" in Kindergärten droht jedoch ein nicht unbekanntes Schicksal: das des typisch österreichischen Dauerprovisoriums.
Eine mit Sicht auf die Kinder besonders bedeutende Aufgabe können stunden- beziehungsweise tageweise in den Kindergärten mithelfende Kräfte nicht erbringen. Sie können nicht jene stabilen, also durchgehend anwesenden Bezugspersonen ersetzen, die vor allem die Jüngsten unbedingt für ihre Entwicklung brauchen. Schließlich verbringen Kinder im Ganztagskindergarten mit dem dortigen Personal unter der Woche weit mehr wache Stunden als mit ihren Eltern. Doch die vorübergehende Notlösung mit "Feminae Probatae" wäre vermutlich allemal besser, als Gruppen oder Kindergärten zu schließen.
Betreuungsquote sanieren
Mittelfristig ist - einem nicht zu flach ansteigendem Stufenplan folgend - die Sanierung der Betreuungsquote alternativlos: Heute kommen auf eine Kindergärtnerin 25 oder mehr Kinder, das Ziel muss 1:5 sein, nach Altersgruppen differenziert. Gestaltung und Ausstattung der Gebäude müssen dem Rechnung tragen, mit mehr kleinen Räumen, aber auch großflächigen für jene wichtigen Aktivitäten, an denen Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam teilhaben. Dass Kinder am besten von Kindern lernen, ist spätestens seit der jüdischen Antike - also seit 2.600 Jahren - zumindest in der Fachwelt bekannt. Genau deshalb brauchen wir auch Kindergärten als Ergänzung zur 1,4-Kinder-Familie.
Ein langfristiger Ansatz, der ab sofort vorzubereiten ist, betrifft die Tatsache, dass Sechsjährige in ihrer Gesamtentwicklung um bis zu sechs Jahre auseinanderklaffen: hier die früh geförderten, teils hochbegabten Kinder bildungsaffiner Eltern - Schulanfänger, die lesen, schreiben und rechnen wie einst Neunjährige -, dort Sechsjährige mit dem Sprachvermögen von Dreijährigen, die noch nicht trocken sind. Das Prinzip der altershomogenen Gruppen und Klassen hat endgültig ausgedient. Nichts zeigt den ganz normalen Schulwahnsinn deutlicher als der Umstand, dass Kinder, die im Können voraus sind, primär als Störfaktoren wahrgenommen werden und nicht als Individuen, von denen eine positive Sogwirkung auf die gesamte Klasse ausgehen kann - ein entsprechendes pädagogisches Geschick der Lehrperson vorausgesetzt. Auch diese Voraus-Kinder haben wie alle Schüler ein Recht auf die ihnen gemäße Förderung.
Es sollte daher das schon lange in Diskussion befindliche Modell der einen Pädagogikausbildung für Kinder von null bis zehn oder zwölf Jahren verwirklicht werden, um den Berufsalltag in Kindergarten und Schule vielfältiger und attraktiver zu machen. So könnte man die verhängnisvolle Schnittstelle Kindergarten/Schule endlich auf der Müllhalde der Bildungsgeschichte entsorgen.
Der gemeinsame Nenner der Branchen, die über gravierenden Arbeitskräftemangel klagen, sind nicht zufällig "dienende" Berufe (Stichwort: Gastronomie). Geht es zusätzlich ums Kotputzen (Altenpflege, Kindergarten, Spital, vermehrt auch Volksschule), kommt es verstärkt zur Flucht aus diesen Berufen. Diese unangenehmen, schweren Tätigkeiten sind mit den die Spezies Mensch seit der Steinzeit antreibenden Zielen der "Anstrengungsvermeidung" und "Wohlfühloptimierung" schlichtweg unvereinbar.
Zu Recht fordern Experten, dass politische Entscheidungsträger sich die Sicht der Kinder auf Kindergarten und Schule aneignen sollten, um qualifizierte Entscheidungen zu treffen. "Ich habe mein Leben lang versucht, ein Kind zu bleiben", meinte der Nobelpreisträger Albert Einstein. Heute weiß man, dass die Inspirationen für spätere individuelle Traumberufe - jeder Beruf kann ein solcher sein - meist lange vor dem Schuleintritt, also im Kindergartenalter, empfangen werden. Gibt es einen überzeugenderen Beleg für die überragende Bedeutung der Elementarbildung, des Kindergartens? Und ja - wir Erwachsene sollten uns, Albert Einstein folgend, schleunigst in die Kindergärten begeben, um besser darüber Bescheid zu wissen, worüber wir debattieren und welche Maßnahmen dort wirklich not-wendig sind.
Langfristig denken
Die hier zitierten Fakten sind kein Geheimwissen - man findet sie zuhauf und für jeden einsehbar in Publikationen des heimischen Bildungsministeriums, der OECD, der Sozialpartner und der weltweit renommiertesten Universitäten - abrufbar auf jedem PC. Für alle hilfreich wäre es, die Expertise jener zu nutzen, die in Kindergärten arbeiten und damit am nächsten an den wirklichen, alltäglichen Problemen dran sind.
Die Kindergärten befinden sich in der Zuständigkeit der Bundesländer. Es wäre naiv, von einem neu in das Amt des für Kindergärten zuständigen Landesrates Berufenen - in der Steiermark aktuell Ex-Volksanwalt Werner Amon - Wunder zu erwarten. Auch er kann nicht die besten Kindergärtnerinnen zigtausendfach klonen.
Was es braucht, sind Politiker, die Fakten und vernunftgeleitetem, planmäßigem Vorgehen gegenüber offen sind und akzeptieren, dass die Früchte der von ihnen auf den Weg gebrachten kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen vermutlich erst ihre Nach-Nach-Nachfolgern werden ernten können. Dies wäre echte menschliche und politische Größe! Vielleicht trifft dies ja auf den neuen steirischen Kindergartenlandesrat zu. Die Hoffnung lebt. Verzichten wir auf reflexartiges Bashing und helfen lieber den zuständigen Politikern bei dieser schwierigen Aufgabe - mit orientierter Expertise und mit unserem Vertrauen.