Yaoundé - Hunderttausende Kinder werden in Kamerun jährlich verkauft, ausgebeutet und im Rahmen eines niederträchtigen Handels wie Sklaven gehalten, der von Netzen aufrechterhalten wird, die sich in absoluter Straffreiheit und in Verachtung der Internationalen Konvention über das Verbot der Zwangsarbeit von Kindern entwickelten. Ganz am Anfang des 21. Jahrhunderts, rund 150 Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei, ersteht der Menschenhandel wieder aus der Asche auf.
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Er breitet sich in den Tropen aus und gedeiht besonders gut in Kamerun. In diesem zentralafrikanischen Land sind die Kinder Opfer eines beschämenden und subtilen Handels.
Die Eltern überlassen unter dem Vorwand der Armut ihren Nachwuchs für Geld einer Handelsschiene, die von Händlern einer ganz besonderen Sorte inszeniert wird. Diese vermieten die gekauften Kinder an Familien, die Arbeitskräfte für verschiedene Arbeiten im Haushalt suchen. Am Ende der Kette sind es also die Familien, diese Art von Handel beleben. Die gekauften Kinder werden zu verschiedenen Arbeiten im Haushalt eingestellt.
Primäre Zielscheibe sind Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren. Verdammt zu einem Dasein als Roboter, die "alles machen", müssen sie meist die Tätigkeiten einer Wäscherin, Köchin, Haushälterin, Babysitterin, Gärtnerin, Einkäuferin und Nachtwächterin vereinen. Tag und Nacht einsatzbereit, haben sie weder festgelegte Arbeitszeiten, noch genügend Zeit zum Schlafen, noch Urlaub. Die Entlohnung für ihre vielfältigen Dienste, die ihnen aufgezwungen werden, beinhalten magere Mahlzeiten, die ihnen von ihren Arbeitgebern angeboten werden. Von Zeit zu Zeit werden sie mit einem Kleid oder T-Shirt beschenkt, oder mit einem Paar Schuhe, das ihre Arbeitgeber für einen Spottpreis beim Trödler erworben haben.
Solch ein Dasein kann sich für die Mädchen auf zahlreiche Monate erstrecken, oder auch auf mehrere Jahre. Meistens werden sie entlassen, wenn sie etwa zwanzig Jahre alt sind. Die unglücklichen Opfer des Handels sind dann sich selbst überlassen und haben meist keine andere Möglichkeit, als in den elterlichen Haushalt zurückzukehren oder sich als Prostituierte auf der Straße ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ein Job, den sie mit Widerwillen über sich ergehen lassen.
Brigitte M., 28 Jahre, ist diesen Weg gegangen. Gegen ihren Willen vom elterlichen Wohnort in der anglophonen Stadt Bamenda ausgezogen, fand sie sich in Douala im Kreise einer Familie aus Funktionären wieder. Nach sechs Jahren Arbeit und regelmäßigen Misshandlungen, wurde sie von ihren Arbeitgebern mit einer lächerlichen Gratifikationsprämie von 50.000 CFA-Francs (umgerechnet rund 1.000 Schilling) bedacht. Zudem wurde ihr - mit gezwungenem Lächeln - eine Vollzeit-Anstellung für 10.000 CFA-Francs (200 Schilling) monatlich angeboten. "Aber mit 21 Jahren war ich kein naives Gör mehr. Ich hatte viele Dinge in meinem Leben verstanden. Daher bevorzugte ich, mich mit der Hoffnung, mich selber durchzuschlagen zu können, zu verabschieden", erzählt sie.
Die "Hoffnungen" von Brigitte M. sind einige Wochen später Wirklichkeit geworden. Zwischen der Demütigung einer Rückkehr ohne Ehren in den elterlichen Haushalt und den Schwierigkeiten eines Lebens in Arbeitslosigkeit und Untätigkeit, entschloss sich das junge Mädchen, sich nach "seiner" Art "durchzuschlagen": sie gab sich der Prostitution preis. Mit dem "ältesten Gewerbe der Welt" schafft sie es, wohl oder übel ihren Lebensunterhalt zu verdienen, trotz aller Risiken und der Unterwürfigkeit dieser Tätigkeit.
Ein einträglicher Markt
Der Fall von Brigitte M. veranschaulicht in mehr als einer Hinsicht die dramatische Situation des Phänomens der Kindersklaven, das in Kamerun dramatische Dimensionen annimmt, wie auch die offiziellen Zahlen über den Kinderhandel zeigen.
Laut letzten Studien wurden im Zeitraum von März bis Juni dieses Jahres von 610.209 arbeitenden Kindern 531.591 Opfer dieses Sklavenhandels: das sind 78 Prozent. Von zehn "verkauften" Kindern, stammen nicht weniger als sechs aus Kamerun. Das ist enorm!
Die Untersuchung gibt auch genauen Aufschluss darüber, wo die "angestellten" Kinder eingesetzt sind: So arbeiten 33,1 Prozent der Kinder im Haushalt, 19,8 Prozent sind als Straßenverkäufer tätig und 9,4 Prozent als Handwerker. Andere sind im Service in den Bars und Cafés der großen Städte angestellt, die Zahl bewegt sich in einer Größenordnung von rund 7 Prozent. Das entspricht auch dem Prozentsatz jener Kinder, die im Kreislauf der Prostitution ausgebeutet werden. 3,6 Prozent sind trotz widriger Umstände Arbeiter geworden, 3,3 Prozent üben die Tätigkeit eines Nachtwächters aus. Die restlichen 16,5 Prozent rekrutieren sich aus in der Studie nicht näher angegebenen Sektoren.
Der Handel hat seine Wurzeln in den nordöstlichen und südwestlichen Provinzen - den beiden anglophonen Zonen des Landes, die in geografischer Nähe zu Nigeria liegen. Die Auswahl der Kindersklaven wird von Zwischenhändlern vollzogen. Ihre Aufgabe ist es, die ländlichen Zonen zu durchforsten, wo sie die Kinder nach Verhandlungen mit den Eltern rekrutieren. Diese befinden sich im Allgemeinen in einer schlimmen sozialen Position. Daher ist es entsprechend schwierig für sie, dem Geld zu widerstehen, das ihnen die Kinderhändler anbieten. Zumal diese versprechen, dass sich die Kinder in ihrem zukünftigen Arbeitsbereich in Sicherheit befinden.
In der Folge wird ein Arbeitsvertrag zwischen einem potentiellen Arbeitgeber (im allgemeinen Frauen) und den Eltern der Kinder unterzeichnet. Es kommt manchmal vor, dass in ein und derselben Familie auf diese Weise gleich mehrere Kinder "verschleudert" werden. Die Zwischenhändler selber erhalten im allgemeinen 2.000 CFA-Francs (40 Schilling) von den Eltern und 10.000 CFA-Francs (200 Schilling) als Kostenersatz für Transport und Kommissionen von den Käufern.
Wenn die heute auch beiden Metropolen Douala und Yaoundé mit anderen Hauptstädten der Provinzen noch die Hauptabnehmer der Kinder sind, so nimmt ihre Bedeutung ab, da der Handel seine Fangarme mehr und mehr nach Nigeria, Benin, Tschad, Kongo, in die Zentralafrikanische Republik, nach Togo und Mali ausstreckt.
Laut dem Internationalen Büro der Arbeit (B.I.T.) erlaubt der transnationale Handel den Beteiligten, durchschnittlich 100.000 CFA-Francs (2.000 Schilling) pro Kind zu verdienen, das in einem afrikanischen Land unterkommt, und mindestens eine Million CFA-Francs (20.000 Schilling), wenn das Mädchen oder der Junge im Westen unterkommt.
Die Macht des Handels
Klar ist, dass die Rentabilität des Geschäftes in der Anzahl der Kinder liegt, die durch Arbeit ausgebeutet werden. Diese widerliche Praxis führt die "Hitparade" der Laster an, welche die Gesellschaft Kameruns prägen. Das Schweigen der dortigen Regierung und im besonderen des Sozialministeriums angesichts dieser alarmierenden Missstände, drückt deutlich eine stillschweigende Komplizenschaft aus. Während sich die Betreiber dieser Handelsnetze in Straflosigkeit bewegen, startet die Kindersklaverei so richtig durch. Jeder weiß es, alle Welt schweigt.
Die Verantwortlichen im Dienste des Schutzes der Kindheit im Sozialministerium in Yaoundé halten während dessen daran fest, dass Kamerun die besten Gesetze zum Schutz von Kindersklaverei habe. Diese Überzeugung spiegelt sich auch darin wider, dass engagierte Eltern und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), die sich in der Sache engagieren und diese Art von Gewalt gegen Kinder anprangern, von der Regierung massiv angegriffen werden, vor allem, wenn sie die Hauptverantwortlichen des Kinderhandels beim Namen nennen.
Jene Eltern, die ihre Kinder weitergegeben haben, haben noch weniger die Möglichkeit, eine anständige Behandlung ihrer Kinder einzufordern: ihnen wird Geldgier vorgeworfen und sie werden von den öffentlichen Stellen geächtet.
Der Staat selbst hat bisher die Konvention Nr. 182 der Internationalen Organisation der Arbeit (O.I.T.) über das Verbot der Zwangsarbeit für Kinder und deren unmittelbaren und raschen Abschaffung nicht ratifiziert. In Artikel 1 der Konvention über die Rechte des Kindes wird der Kinderhandel als eine "der Sklaverei analoge Praxis" dargestellt. Der Begriff wird wie folgend definiert: Kinderhandel ist jene "Praxis, durch die ein Kind oder ein Jugendlicher unter 18 Jahren entweder durch beide Eltern oder durch einen von beiden oder durch einen Erzieher an Dritte gegen Geld oder auch ohne Geld zur Ausbeutung seiner Person oder zur Arbeit als Kind oder Jugendlicher übergeben werden".
Vor zwei Jahren, am 1. April 1998, wurde der Präsident der Republik Kamerun, Paul Biya, durch die Veröffentlichung des Gesetzes Nr. 98/002 ermächtigt, die Konvention Nr. 182 des O.I.T. zu ratifizieren. Dass dies bis heute auf sich warten lässt, legt den Schluss nahe, dass seine Regierung diese Praxis schützt, sie sogar als Strategie im Kampf gegen die Armut begrüßt. Dasselbe Regime posaunt lautstark aus, in seinem Arbeitsprogramm einen großen Teil der Zukunft der Jugend widmen zu wollen, die es als "Speerspitze der Nation" bezeichnet.
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Patrice Epangue ist Korrespondent der Tribüne Afrikas in Zentralafrika und lebt in Kamerun.