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"Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen"

Von Alexandra Grass

Wissen
© Roland Ferrigato

Der frisch ausgezeichnete Chemiker Nuno Maulide über das schlechte Image der Chemie, seine Arbeit im submikroskopischen Bereich und seine Ausbildung als Konzertpianist.


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Nuno Maulide ist Professor für Organische Synthese an der Fakultät für Chemie der Universität Wien. Der 1979 in Lissabon geborene Forscher ist auch studierter Konzertpianist und verbindet gerne die beiden Fächer in Form von Vortragskonzerten. Seine Fähigkeit, sein vielleicht etwas kompliziert erscheinendes Fach lebendig und alltagsnah für Jung und Alt zu vermitteln, war ausschlaggebend für die Entscheidung, den Träger zahlreicher Forschungspreise auch zum "Wissenschafter des Jahres" 2018 zu wählen. Mit der Auszeichnung ehrt Österreichs Klub der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen heuer bereits zum 25. Mal Forscher und Forscherinnen, deren Arbeit nicht nur wissenschaftlich relevant ist, sondern die sich auch besonders darum bemühen, sie einer breiten Öffentlichkeit gut verständlich zu vermitteln.

"Wiener Zeitung": Sie sind Chemiker. Das Wort Chemikalie ist in der Bevölkerung jedoch vorwiegend negativ besetzt und wird als kompliziert und schwierig gesehen. Wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?

Nuno Maulide: Das finde ich tragisch. Wir Chemiker sind jedoch selbst daran schuld, dass unser Arbeitsmittel, die Chemikalie, negativ gesehen wird. Es fehlt an der nötigen Kommunikation nach außen. Bio-Nahrung wird als gut angesehen - doch alles in unserem Leben ist Chemie. Ohne sie wäre das Leben gar nicht möglich. Wenn wir zu Hause kochen, ist das Chemie. Wenn wir uns duschen, ist das Chemie. Sie begleitet uns jeden Tag - und das ganz nebenbei. Das ist den Menschen nicht bewusst. Daher müssen wir mehr und besser kommunizieren.

Sie engagieren sich für eine bessere Kommunikation mit der Bevölkerung und wurden dafür auch zum Wissenschafter des Jahres 2018 gewählt. Weiters ist 2019 das Internationale Jahr des Periodensystems der chemischen Elemente. Ist das in Summe eine Basis, um am Stellenwert zu zimmern?

So betrachtet, könnte 2019 für das Außenbild der Chemie eine gute PR-Maßnahme werden. Die Kombination ist spannend. Und erstmals hat nun mit mir ein Chemiker diese Auszeichnung erhalten. Man sollte über Initiativen nachdenken - und sich an der Physik ein Beispiel nehmen.

Die Physik trumpft mit Forschungsstätten auf. Da gibt es Riesenteleskope, kilometerlange Teilchenbeschleuniger - viele imposante Objekte, die Physik irgendwie begreifbar machen. Findet die chemische Forschung zu versteckt statt?

Genau deswegen arbeiten wir mit Schulen und organisieren Führungen. Wir haben keine Spokesperson in unserem Fach - keinen Mister Chemistry oder keine Misses Chemistry, wie es etwa der Nobelpreisträger Richard Feynman für die Physik ist. Es ist auch in der Community nicht sehr angesehen, nach außen zu kommunizieren. "Hast du nicht genug zu tun?", bekommt man zu hören. Selbstverständlich, es kostet Stunden an Vorbereitung. Und am Ende bekommt man kein höheres Gehalt, keinen Preis - jetzt schon (lacht).

Ihr Lebenslauf verrät, dass Ihr erster Weg nicht die Chemie war.

Ich habe ein Studium als Konzertpianist abgeschlossen. Doch die Musik ist hart und noch dazu sehr einsam. Es ist einfacher, Profi-Chemiker und Amateurmusiker zu sein als umgekehrt. Dennoch haben Musik und Wissenschaft viel gemeinsam. Deshalb halte ich auch Vortragskonzerte, wie etwa "Chemie trifft Chopin". Dabei gibt es neben den Klavierstücken immer wieder kleine Erklärungen und Geschichten zu meinem Fach.

Warum aber gerade Chemie?

Die wahre Geschichte dazu ist nicht romantisch. In Portugal darf man sechs Studienrichtungen nach Priorität reihen. An erste Stelle habe ich Medizin gesetzt, doch den Numerus clausus nicht geschafft. Die weitere Reihung hatte ich beliebig vorgenommen. Als das Ergebnis kam, konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern. Und so war Chemie die Rettungsalternative. Bei der ersten Vorlesung zur Organischen Chemie wusste ich sofort: "Das ist etwas für mich." Es gibt eine künstlerische Perspektive für die Organische Chemie, weil wir unsere Strukturen wie Kunst malen. Dies hat vielleicht die künstlerischen Punkte in meiner Seele berührt.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte an der Uni Wien ist die Organische Synthese. Was ist das?

Wir suchen nach neuen Verbindungen. Was wir machen, vergleiche ich gerne mit dem Bau eines Hauses. Man muss die Backsteine zusammensetzen. Wir bauen Häuser im submikroskopischen Bereich. Wir können es nicht sehen, müssen uns aber auch um neue Bauteile kümmern - und um neue Reaktionen, damit die Bausteine zusammengesetzt werden können. In einem aktuellen Projekt suchen wir nach organischen Molekülen für die Lack-Produktion. Ein Ziel für die Zukunft sind intelligente Coatings, sie sich selbst regenerieren. Dazu zählen Polymere mit besonders starken Wechselwirkungen innerhalb ihrer Schichten, die sich etwa bei Kratzern in Autolacken selbst reparieren. Ein weiteres Projekt ist die Suche nach Molekülen aus nachhaltigen und erneuerbaren Rohstoffen, die für Polstermaterialien eingesetzt werden können. Dabei handelt es sich um dieselben Moleküle für Polyurethane, die man aus Mineralöl gewinnt. Zu den interessantesten Rohstoffen zählt etwa Abfall aus der Landwirtschaft.

Schauen Sie sich komplexe Prozesse auch aus der Natur ab?

Die Natur ist die beste organische Chemikerin insgesamt. Sie hatte auch Millionen Jahre Zeit zu forschen. Selbst in unserem Körper gibt es, wenn wir miteinander reden, pro Sekunde im Gehirn mehrere Milliarden Reaktionen. Das ist unglaublich. Was für eine chemische Maschine muss dieser Körper sein, um die Funktionen, die wir haben, zu ermöglichen.

Und die Evolution bringt Veränderungen der chemischen Vorgänge?

Es findet immer eine bessere Adaptierung an Situationen statt. Viele Rohstoffe werden aus der Natur isoliert, sie sind eine gute Basis. Und je komplexer das Ausgangsmaterial ist, desto vielfältiger kann man damit arbeiten, umso schwieriger ist es aber auch. Ein großes Thema in der Synthese ist die Chiralität. Chirale Moleküle unterscheiden sich nur deshalb, weil sie gespiegelt sind, wie die rechte und die linke Hand. Der Aufbau ist gleich, aber das Verhalten ein anderes.

Ein Beispiel?

Der Naturstoff Limonen, der aus Orangenöl gewonnen wird, enthält chirale Moleküle. Die linkshändige Form riecht nach Zitrone, die rechtshändige nach Orange. In der Chemie müssen wir diese trennen, um reine Substanzen zu erhalten. Werden die Unterschiede bei der Anwendung oder bei der Mischung nicht berücksichtigt, kann das schwerwiegende Folgen haben. Contergan ist ein Beispiel. Auch dieser Wirkstoff (Anm.: Thalidomid wurde als Mittel gegen Schwangerschaftsübelkeit eingenommen und verursachte Schädigungen am Fötus, 1961 wurde dies aufgedeckt) kommt in zwei Formen vor. Die linkshändige war die eigentliche Wirkung, die ebenso enthaltene rechtshändige Form verursachte Schäden bei Kindern.

Welcher Bereich in der Chemie ist für Sie besonders spannend?

Ich möchte Einzelkomponenten für die Parfumindustrie neu erforschen. Das ist mein Traum. Es kommt vor, dass wir im Labor Moleküle entwickeln, die zufällig auch noch gut riechen. Dann versuche ich, Kooperationspartner zu finden, die das tiefer untersuchen. Es wäre cool, wenn eine Freundin ein neues Parfum trägt, das aus meinem Molekül als Schlüsselkomponente aufgebaut wird.

Was bedeutet für Sie persönlich die Auszeichnung "Wissenschafter des Jahres" 2018?

Es ist großartig, denn es gibt nur eine Person im Jahr im ganzen Land, die sie erhält. Für mich ist es, professionell gesehen, vielleicht "the cherry of the top of the cake" (die Kirsche auf dem Sahnehäubchen) für 2018. Das hätte ich nie geglaubt. Ich bin ja erst seit fünf Jahren in Österreich.

Zur Person

Nuno Maulide ist Professor für Organische Synthese an der Fakultät für Chemie der Uni Wien. Der 1979 in Lissabon geborene Forscher und Pianist ist Träger eines ERC Consolidator Grant und war Gruppenleiter am Max Planck Institut für Kohlenforschung.