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Vor sechzig Jahren wurde das Saarland, das nach 1945 zunächst ein französisches Protektorat gewesen ist, zu einem Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland.
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Ein Spielball zwischen Deutschland und Frankreich - so könnte man die turbulente Geschichte des Saarlandes in wenige Worte fassen. Vor sechzig Jahren erfolgte der bisher letzte Schritt in dieser Entwicklung, denn das Saarland trat am 1. Jänner 1957 als elftes Bundesland der Bundesrepublik Deutschland bei.<p>Seit dem Mittelalter war das Gebiet entlang des Flusses Saar zwischen deutschen und französischen Interessen hin- und hergerissen. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. konnte es zwar für Frankreich erobern, musste sich nach zwanzigjähriger Herrschaft aber wieder zurückziehen. Nach der Französischen Revolution wurde die Region neuerlich ein Teil Frankreichs, aber auf dem Wiener Kongress schlug das Pendel wieder in die andere Richtung: das Gebiet wurde aus Frankreich gelöst und aufgespalten, die größten Anteile fielen dabei an die Königreiche Preußen und Bayern, kleinere Besitzungen an andere Staaten des Deutschen Bundes.<p>Auf die politische Trennung folgte der wirtschaftliche Aufstieg, denn die Dampfmaschine und die Eisenbahn ermöglichten die Nutzung der Kohlevorkommen entlang der Saar und führten zum Ausbau der Schwerindustrie. In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich das Gesicht des Raums an der Saar grundlegend geändert, denn aus einem landwirtschaftlich geprägten Gebiet war nun eine Industrieregion geworden. Der Boom ließ die Bevölkerung stark anwachsen. Lebten im Jahr 1820 rund 120.000 Menschen in der Region, so waren es achtzig Jahre später fünfmal so viele. Die "Stahlbarone" dominierten das wirtschaftliche und öffentliche Leben der Zeit. Sie trieben die ökonomische Entwicklung voran und sorgten in einem paternalistischen Verhältnis für ihre Angestellten, bauten Wohnungen und Schulen für die Arbeiter.<p>
Soziale Konflikte
<p>Zugleich übten die Industriellen jedoch Druck auf die Arbeiterschaft aus, der bis in das Privatleben reichte und jede politische Tätigkeit verbot. Nachdem die Arbeiter in der großen Mehrheit katholisch waren, die Industriellen aber protestantisch, hatte der soziale Konflikt in der Saarregion auch einen konfessionellen Aspekt, der vor allem in der Zeit von Bismarcks Kulturkampf eine bedeutende Rolle spielte.<p>Der Erste Weltkrieg änderte alles: Nach der deutschen Niederlage wurde das Saarland wie bereits mehrmals zuvor an Frankreich angeschlossen. Paris verfolgte damit ein doppeltes Ziel: Zum einen sollte die deutsche Industrie geschwächt werden, zum anderen wurde die saarländische Kohle als Reparation für die im Krieg erlittenen Schäden betrachtet.<p>Gemäß den Bestimmungen des 1920 abgeschlossenen Vertrages von Versailles wurde das Gebiet nun vom Völkerbund verwaltet, tatsächlich hatte aber Frankreich das Sagen. Französische Soldaten wurden in der Region stationiert und französische Beamte übernahmen die Verwaltung. Dies stieß auf wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung, und als Reak-
tion auf die Besatzung kam es immer wieder zu Streiks. Feiern und Jubiläen wurden genutzt, um die Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland zu betonen, und alle politischen Kräfte befürworteten die Rückkehr in das Mutterland.<p>Die Besatzung hatte allerdings einen wirtschaftlichen Vorteil: durch die Zugehörigkeit zum französischen Währungsraum ersparte sich das Saarland die in Deutschland grassierende Hyperinflation und die damit verbundenen Verwerfungen.<p>Der Vertrag von Versailles hatte vorgesehen, dass nach fünfzehn Jahren die Bevölkerung über die weitere Entwicklung befragt werden sollte. In der Zwischenzeit hatte aber die NSDAP in Deutschland die Macht übernommen, und so kam es zu einer Spaltung der Bevölkerung des Saarlandes. Die aus Sozialisten und Kommunisten bestehende Einheitsfront trat für die Fortschreibung des Status quo ein, die anderen Parteien unterstützten weiterhin die Wiedereingliederung in das Deutsche Reich. Die Volksabstimmung im Jänner 1935 fiel eindeutig aus: 91 Prozent der Befragten stimmten für die Rückkehr nach Deutschland, und so konnte Hitler seinen ersten großen außenpolitischen Erfolg feiern.<p>Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde wieder alles anders. Bereits in der Konferenz von Jalta war vereinbart worden, dass Frankreich als einer der vier Alliierten die Besatzungszone im Südwesten Deutschlands übernehmen sollte. Im Frühling 1945 marschierten amerikanische Soldaten im Saargebiet ein, der Krieg war damit in dieser Region zu Ende. Wie vereinbart übergaben die Vereinigten Staaten die Verwaltung an Frankreich, das mit dem Saargebiet aber besondere Pläne hatte. Die Saar erhielt ein spezielles Statut, dessen Ziel der wirtschaftliche Anschluss an Frankreich war. Zu diesem Zweck wurde das Saarland vom Rest der französischen Besatzungszone getrennt und der französische Franc als Währung eingeführt.<p>
Die Verfassung
<p>1947 erhielt das Saarland eine eigene Verfassung, die aber den Vorstellungen Frankreichs entsprach. In ihrer Präambel wurde nämlich festgeschrieben, dass das Saarland von Deutschland politisch unabhängig sei und seine Landesverteidigung und die Vertretung seiner Interessen im Ausland der französischen Republik übertrage. Mit dieser Verfassung hatte das Saarland nun einen gewählten Landtag und eine Regierung, an die Bewohner wurde sogar die saarländische Staatsbürgerschaft verliehen. Auch an eine Flagge für das Saarland wurde gedacht, und damit hatte die Region Merkmale eines eigenständigen Staates bekommen. Die tatsächliche Macht lag aber beim französischen Hochkommissar, denn alle vom saarländischen Landtag verabschiedeten Gesetze mussten von ihm genehmigt werden.<p>Um die Illusion eines selbstständigen Saarlandes zu fördern, wurde auch auf den Sport zurückgegriffen. Das Saarland trat mit einer eigenen Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen in Helsinki an und nahm an internationalen Fußballturnieren teil. Besonders brisant wurde es im März 1954, denn in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft kam es zu zwei Länderspielen zwischen dem Saarland und Deutschland - beide gingen klar für den späteren Weltmeister Deutschland aus.<p>Frankreich hatte aber aus der harschen ersten Besatzung des Saarlandes dreißig Jahre zuvor gelernt. Vieles wurde nun unternommen, um die Saarländer für Frankreich und seine Kultur zu gewinnen. Französische Künstler traten im Saarland auf, französische Architekten bauten repräsentative Gebäude, und die Besatzungsmacht gründete eine eigene Universität sowie den regionalen Rundfunk. Doch bei all diesen freundlichen Maßnahmen gab es ein Tabu, an dem nicht gerührt werden durfte: die Eigenständigkeit des Saarlandes. Wer diese in Frage stellte oder gar für die Rückkehr der Region nach Deutschland eintrat, der musste mit Sanktionen rechnen. Die anfängliche Zustimmung der Bevölkerung zur Eigenständigkeit des Saarlandes begann unter diesem Eindruck zu schwinden.<p>Eine endgültige Lösung für das Saarland war aber noch nicht gefunden worden und gerade zu jener Zeit, als die ersten Schritte zur europäischen Einigung unternommen wurden, belastete diese Frage das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Ganz im Sinne des neu erwachten Gefühls einer europäischen Zusammengehörigkeit schlug der französische Außenminister Robert Schuman daher vor, das Saarland zu europäisieren. Auch der deutsche Kanzler Konrad Adenauer und der französische Premier Pierre Mendès France fanden an dieser Lösung Gefallen. Die neu gegründete Westeuropäische Union sollte die Verwaltung der Re-gion übernehmen, und die europäischen Institutionen sollten in Saarbrücken, der Hauptstadt des Saarlandes, angesiedelt werden.<p>Der Vorschlag stieß beim damaligen Ministerpräsidenten des Saarlandes, dem konservativen Johannes Hoffmann, auf Zustimmung, und im ersten Überschwang ließ er schon Architekten die Verwaltungsgebäude der europäischen Behörden und städtebauliche Maßnahmen für die neue Hauptstadt Europas planen.<p>
Die Volksabstimmung
<p>Um den Sonderstatus der Region demokratisch abzusegnen, wurde für den 23. Oktober 1955 eine Volksabstimmung angesetzt. Bei der Abstimmung lehnten 68 Prozent das vorgeschlagene Statut für die Saar ab. Das Ergebnis wurde als Zeichen gesehen, dass die Mehrheit der Saarländer nach Deutschland zurückkehren wollte.<p>Dieser Ausgang des Referendums war schlichtweg nicht erwartet worden. Neue diplomatische Verhandlungen wurden notwendig und führten schließlich zum Luxemburger Vertrag, der vorsah, dass das Saarland mit dem 1. Jänner 1957 Teil der Bundesrepublik Deutschland werden sollte. So kam es dann auch, wobei aber die wirtschaftliche Wiedereingliederung des Saarlandes noch dauern sollte. Erst 1959 löste die D-Mark den französischen Franc als Zahlungsmittel ab.<p>Die weitere Entwicklung des Saarlandes verlief - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - weniger rosig als erwartet. Die Kohlekrise in den sechziger und die Stahlkrise in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ließen die beiden ökonomischen Pfeiler der Region einbrechen. Die Umstrukturierung der Wirtschaft und die damit verbundenen Kosten trugen dazu bei, dass das Saarland bis in unsere Tage hoch verschuldet ist.<p>Heute möchte das Saarland aus seiner turbulenten Geschichte und seiner geografischen Lage einen Nutzen ziehen. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, der unter den europäischen Regionen ausgebrochen ist, will das "französischste aller deutschen Bundesländer" mit seiner Frankreichkompetenz punkten und diese - wie es in der Sprache der Manager heißt - zu einem Alleinstellungsmerkmal ausbauen.<p>Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Kindergärten zweisprachig geführt und in den Schulen ab der ersten Klasse Französisch unterrichtet werden. Bis zum Jahr 2043 soll nach der Vorstellung der Landesregierung das Saarland zweisprachig sein und so zur Brücke zwischen Deutschland und Frankreich werden.
Christian Hütterer, geboren 1974, ist österreichischer Politikwissenschafter und Historiker. Er lebt und arbeitet in Brüssel.