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Siebenjährige schuften schon. | Es gibt wenig Skrupel, Kinder zu beschäftigen. | NGOs wollen Kinder von den härtesten Arbeiten wegbringen. | Dhaka. Ramiras Blicke sind apathisch auf einen Haufen Ziegelsteine gerichtet. Das Mädchen hockt in einer zerschlissenen Hose und einem verstaubten T-Shirt am Straßenrand, ein schwarzer Schirm schützt sie vor der Sonne. Schwüle Hitze drückt auf Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. | Im Würgegriff der Fronarbeit | Verbote alleine reichen nicht aus
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Ramiras Arme sind dünn wie Stäbchen, in ihrer Hand hält sie einen kleinen Hammer, mit dem sie die Ziegelsteine zurechtklopft. Für einen Tag Arbeit erhält sie 50 Taka, das sind umgerechnet etwa 60 Cent.
Ramira ist sichtlich mangel- und unterernährt, sie ist vierzehn und sieht aus wie zehn. Sie erzählt, dass sie seit ihrem elften Lebensjahr arbeitet. Ihr Vater ist tot, ihre Mutter gab sie zu der Familie ihrer Tante. Es ist eine fünfköpfige Familie von Tagelöhnern. Es reicht gerade für ein Zimmer im Slum, für Reis und Gemüse, aber nicht für Fleisch. Wenn aber nur ein Familienmitglied krank wird oder es in der Regenzeit nicht genug Arbeit gibt, dann kommt der Hunger.
Sie säubern die Tische in Restaurants, sie nähen Kleidung in Fabriken, sie hacken Holz - Schätzungen zufolge arbeiten in Bangladesch, einem Staat mit 153 Millionen Einwohnern, etwa acht Millionen Kinder unter 15 Jahren.
Der offensichtlichste Grund dafür fällt in Dhaka ständig ins Auge: die Armut. Die Stadt mit etwa 15 Millionen Einwohnern ist gesäumt von aus Bambus oder Wellblech zusammengeflickten Slumhütten, bewohnt von Familien, die täglich ums Überleben kämpfen. Und die Armut von Bangladesch schafft wiederum Lebensumstände, die Kinderarbeit weiter fördern.
Überschwemmungen und zu wenig Schulen
Die Migration in Städte wegen Naturkatastrophen sei etwa ein großes Problem, sagt Wahida Banu, die Direktorin der Organisation Aparajeyo-Bangladesch, die sich für Kinderrechte einsetzt. Taifune und Überschwemmungen verwüsten in Bangladesch ständig ganze Landstriche. Die Opfer der Katstrophen bekommen keine Entschädigung, und vollkommen mittellose Familien, die ihr Land verloren haben, ziehen in die Städte, wo die Kinder zu arbeiten beginnen.
Zudem gebe es nicht genügend Schulen, sagt Banu. Dies zeigt sich besonders in abgelegenen ländlichen Regionen. Manche Dörfer sind kilometerweit von der nächsten Schule entfernt, die Kinder werden daher zur Feldarbeit eingesetzt. Und ein weiteres Phänomen benennt Banu: "Arme Familien haben oft mehr Kinder, als sie ernähren können. Die Kinder werden losgeschickt, um Arbeit zu suchen."

Aparajeyo hat in Dhaka mehr als 40 Lernzentren aufgebaut. Hier sollen arbeitende Kinder alphabetisiert werden und eine Grundausbildung für eine vielleicht bessere Zukunft erhalten. Eines dieser Zentren befindet sich in der Altstadt von Dhaka. Auf einer großen Decke sitzen vor aufgeschlagenen Büchern etwa 20 Kinder im Kreis, die von einem jungen Lehrer unterrichtet werden.
Die jüngsten Kinder hier sind nicht älter als sieben, acht Jahre, wie etwa Hassan. Der Achtjährige packt Papier in einer Fabrik ein. Der Bub mit den großen, braunen Augen und den kurzen Haaren erzählt, dass er sich oft seine Finger am scharfen Papier schneiden würde. Er muss in der Fabrik auf einem harten Steinboden sitzen. "Meine Knie und Rücken tun mir oft weh", sagt Hassan. Sein Arbeitstag beginnt um zehn Uhr morgens und endet um neun Uhr abends, unterbrochen wird er nur von den zwei bis drei Stunden, die er am Nachmittag im Lernzentrum verbringt.
Kochen und Putzen für wohlhabende Familie
Auch die elfjährige Tanja berichtet, dass sie sechs Tage die Woche zehn Stunden lang arbeitet. Sie kocht und putzt im Haushalt einer wohlhabenden Familie. "Ich komme gerne in das Lernzentrum", sagt sie. Es ist nicht verwunderlich: Hier ist sie mit anderen Kindern zusammen, hier erteilt ihr niemand ständig Befehle.
Der Raum, in dem die Kinder unterrichtet werden, befindet sich über einer Autowerkstatt. Zu Verfügung gestellt wird er von Ladenbesitzern der Altstadt, die eine Art Zunft unter dem Namen "Goldener Klub" gebildet haben. Dessen Generalsekretär ist Salahuddin Saleh, ein großer, kräftiger 42-jähriger Mann. "Wir wollen, dass die Kinder Bildung erhalten", sagt er. Doch viele Mitglieder des "Goldenen Klubs" haben selbst Kinder angestellt. Und auch Saleh lässt in seiner Werkstatt für Autozubehör den 13-jährigen Arif arbeiten. Auf die Frage, ob Arif nicht zu jung für die Arbeit sei, antwortet Saleh: "Wenn das jemand sagt, akzeptiere ich seine Meinung. Aber Arif erhält bei mir eine Ausbildung, die ihm später helfen kann."
Kinderarbeit gehört in Bangladesch zum Alltag. Es gab sie schon zu Zeiten von Salehs Vater und Großvater, und auch heute schuften Kinder in vielen Läden und Werkstätten von Dhaka. Oder sie arbeiten in Fabriken, die oft auch westliche Firmen beliefern.
Viele Leute hätten keine Skrupel, Kinder anzustellen, berichtet Banu. "Sie sagen, die Kinder würden doch betteln, wenn wir ihnen keine Arbeit geben." Und Kinder sind oft beliebte Arbeitskräfte: Sie kosten wenig, und sie sind leicht zu kontrollieren.
"Kein Kind sollte arbeiten, das ist eine ganz klare moralische Richtschnur für unsere Arbeit. Aber wir müssen auch die Zustände in unserem Land betrachten, und deshalb können wir nur Schritt für Schritt vorgehen", betont Banu. Es müsse zunächst dafür gesorgt werden, dass arbeitende Kinder Bildung erhalten. In oft mühseliger Kleinarbeit überzeugt Aparayejo die Arbeitgeber, die Kinder für die Lernzentren freizugeben, ohne dass ihnen deshalb etwas von der Bezahlung abgenommen wird.
NGOs üben Druck auf die Regierung aus
Zudem kämpfe man laut Banu derzeit darum, die Kinder von den härtesten und ungesündesten Arbeiten wegzubringen. Etwa in Aluminium- und Glasfabriken, wo sie giftige Dämpfe einatmen müssen. Viele NGOs würden hier Druck auf die Regierung ausüben. Diese will nun gegen dieses Problem vorgehen.
Aber noch immer sieht man Kinder, die extrem harte und gefährliche Arbeiten verrichten. Der 12-jährige Mohammad lebt in der Provinz Chittagong in einer ländlichen Region. "Ich würde gerne in die Schule gehen, aber meine Familie kann sich das nicht leisten", sagt er. Jeden Tag macht er sich daher mit seinen Freunden auf, um im Wald Brennholz zu sammeln.
Es ist eine Gruppe von fünf Kindern, der jüngste Bub ist acht Jahre alt. Man wundert sich, dass die zusammengebundenen Holzstapel, die die Kinder über der Schulter schleppen, ihnen nicht das Kreuz brechen. Die Stapel sind etwa 20 Kilogramm schwer, die Kinder, die dünn und klein sind, schleppen fast ihr eigenes Körpergewicht. Das Holz haben sie zuvor von Bäumen abgeschlagen, die sie zehn, fünfzehn Meter hochgeklettert sind. Ein falscher Schritt genügt, und die Kinder stürzen vom Baum. Wenn sie dabei sterben, werden sie ihre Familien abholen und begraben, sonst wird sich niemand um diesen Tod kümmern. Und die Familien müssen mit ihren restlichen Kindern weiter darum kämpfen, irgendwie zu überleben.