Vier Tage vor der außerordentlichen Hauptversammlung der Verbundgesellschaft am 8. September, bei der die Weichenstellung für eine "österreichische Stromlösung" in Form des Zusammenschlusses zunächst der Stromproduktion von Verbund, ESTAG-Steiermark und Energie-Oberösterreich zur "Energie Austria" allen Anzeichen nach am Veto des Sperrminoritätssyndikats unter Führung der Maria Enzersdorfer EVN scheitern wird, hat das internationale Beratungsunternehmen A.T. Kearney am Montag in Wien die Kosten für die Fortsetzung der Kleinhäuslerei in Österreichs Stromwirtschaft beziffert. Fazit der Studie: Scheitert die "Energie Austria", bleiben 4 Mrd. Schilling an nicht realisiertem Synergiepotenzial "auf der Strasse liegen". Weitere 3 Mrd. Schilling an Kosteneinsparungen wären zu erzielen, wagten alle sechs Stromunternehmen - der rivalisierenden ,,Energie-Allianz" gehören derzeit neben der EVN die Wienstrom und die Linzer ESG an - eine volle Fusion. Wären 7 Mrd. Schilling. Pro Jahr.
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Die Liberalisierung des europäischen Energiemarktes erfordert größere Unternehmenseinheiten, resümieren die Energieexperten von A.T. Kearney ihre Erfahrungen der letzten fünf Jahre. Die Energiebranche ist vergleichsweise immer noch kleinteilig: Die Top l0 Energieunternehmen Europas haben einen Anteil von 58% des Gesamtmarktes. Die l0 größten Automobilunternehmen erwirtschaften demgegenüber schon über 75% des Gesamtumsatzes weltweit, in Europa decken die Top l0 Automobilplayer sogar 84% des Marktes ab.
Die Unternehmen reagieren mit einer regelrechten Fusionswelle, die Riesenzusammenschlüsse wie die Stromtöchter der Konzerne Veba und Viag zu E.ON, der neuen Nummer 3 Europas, oder RWE und VEW zu RWEneu sind nur einige Beispiele. Neben den Megafusionen sind auch auf Regionalverteiler- und Stadtwerke- Ebene Konzentrationen im Gange. ln Deutschland hat es l998 ca. 900 eigenständige Energieversorgungsunternehmen gegeben. A.T. Kearney geht davon aus, dass sich diese Zahl bis 2003 halbieren wird.
"Zusammenschlüsse sind der wichtigste Hebel zur Kostensenkung und Ausschöpfung der neuen Marktchancen", postuliert die Studie weiter. Nur "die Fusion bringt für die Energieunternehmen den maximalen Beitrag zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Mit Teilfusionen und Kooperationen können die Werte von Vollfusionen nicht erreicht werden.
Je mehr Überdeckung in der Wertschöpfung besteht, desto größer sind die Synergieeffekte. Bei Energieunternehmen, die die ganze Wertschöpfungskette von Erzeugung, Transport/Vertiefung, Handel und Vertrieb abdecken, können mit einer Vollfusion bis zu 14% der Kosten eingespart werden. Bei Teilfusionen, wenn nur einzelne Wertschöpfungsstufen wie beispielsweise die Erzeugung zusammengeführt werden, liegt dieser Wert bei 7 % bis l0% und bei Kooperationen bei 4% bis 5%".
Kostensenkung ist aber nur ein Aspekt, die Stärkung der Marktposition ist der zweite, langfristig noch wichtigere Hebel auf die Wettbewerbsfähigkeit von fusionierten Unternehmen. Die langfristige Stärkung durch Fusionen liegt vor allem im höheren Wachstumspotenzial: "Bei Fusionen gilt: Eins plus eins muss beim Umsatz mehr als zwei ergeben".
Der Aufbau starker Marken, die Nutzung effizienter Vertriebskanäle, wie das Internet, neue Customer Relationship-Systeme oder die Entwicklung innovativer Produkte ist sehr teuer und setzt eine kritische Größe voraus. E.ON, der neue deutsche Stromriese aus Preussenelektra und Bayernwerk, setzt zum Beispiel für die Einführung der neuen Strommarke "rot" derzeit an die 100 Mill. DM (rund 700 Mill. Schilling) für Marketing und Werbung ein.
Noch einen Größenvergeich hat Klaus Dieter Maier, Leiter des Bereichs "Global Utilities" bei A. T. Kearney, parat: Das deutsche Bundesland Baden-Württemberg: Mit knapp zehn Millionen Einwohnern ein wenig größer als Österreicher, dort ist im wesentlichen mit der EnBW ein einziger Stromversorger tätig; und der fühlt sich erst halbwegs konkurrenzfähig, seit er mit 25% den französischen Riesen Electricité de France (EdF) als Partner im Unternehmen hat.
Nur durch die Bündelung der Kräfte in Österreich lassen sich die neuen Marktchancen nutzen und die Eigenständigkeit erhalten, sind A.T. Kearney überzeugt. In Österreich haben die ersten Schritte der Liberalisierung zu Preisreduktionen in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit geführt, wie sie in der Form noch nirgends sonst zu beobachten waren. Mit l. Oktober 200l wird der Strommarkt und mit l. August 2002 der Gasmarkt vollständig geöffnet. "Offensive, vorwärts gerichtete Strategien müssen angesichts der nicht mehr umkehrbaren Entwicklung zum vollen Wettbewerb endgültig Platz greifen", meinen die Studienautoren.
Die Unternehmensberater empfehlen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft daher dringend, sich durch Fusionen zu stärken. Im europäischen Vergleich seien die Stromversorger in Österreich zu klein, um einzeln bestehen zu bleiben. Sogar die Energie Austria würde mit einer Stromproduktion von 45 Terawattstunden (45 Mill. Megawattstunden) nur Rang 14 unter den europäischen Stromkonzernen einnehmen, rechnet Maier vor. Zusammen mit den Firmen der Energie-Allianz entstünde immerhin ein Top Ten-Player.
Die Energie Austria sei mit ihrem Fusionskonzept positiv zu beurteilen, wenngleich sie auch nur als erster Schritt in der Konsolidierung der österreichischen Strombranche gesehen werden könne. Nur Fusionen, nicht aber Kooperationen, schafften eine "gemeinsame Kasse" der Unternehmen und damit gemeinsame Kundenbasis, Marketing etc., was sich in Kostenersparnis niederschlage, unterstrich Maier.
Fusionen sind zwar nicht immer das Allheilmittel, räumte Maier ein. Aber am europäischen Strommarkt ist derzeit angesichts des massiven Strompreisverfalls und der wachsenden Ansprüche der Kunden ein "Windhundrennen" im Gange: Es geht auch um "fressen oder gefressen werden".
Zusammenschlüsse von Stromversorgern seien auch für die Eigentümer interessant, ist Maier überzeugt. Denn bei einem Verkauf der relativ kleinen Einzelunternehmen könnten sie weit weniger erzielen, als bei einer Veräußerung von größeren Einheiten. Maier verweist wieder auf das Beispiel Beispiel Baden-Württemberg, wo das Land für den Verkauf der Sperrminorität an der EnBW an die EdF "horrend viel Geld" erhalten habe. Dies wäre bei einem Verkauf der vergleichsweise unbedeutenden Badenwerke und der Energieversorgung Schwaben, die zur EnBW fusioniert wurden, nie möglich gewesen: "Eine Partnersuche auf annähernd gleicher Augenhöhe endet mit einem anderen Resultat".
Als Negativbeispiel für fehlgeschlagene Fusionspolitik nennt Maier die Niederlande. Dort habe der Wirtschaftsminister erfolglos die Fusion von vier Stromversorgern betrieben. Nach dem Scheitern der Gespräche sind binnen 18 Monaten drei der vier Unternehmen unter die Kontrolle ausländischer Energieriesen gekommen. Ein ähnliches Resultat habe in Großbritannien eine explizite Anti-Fusionspolitik des Regulators bewirkt. Auch dort sind Ausländer massiv eingestiegen - und haben teilweise die Rosinen aus dem Kuchen gepickt: Die Hauptstadt London wird mittlerweile von den Franzosen mit Strom versorgt.
Ausgehend von den Stärken der österreichischen Energiewirtschaft, etwa "die langfristig kostengünstige und kostenstabile Wasserkraft" und die attraktive geografische Lage für Energiehandel und -transit müssen rasch marktkonforme Branchenstrukturen für den europäischen Wettbewerb geschaffen werden, wird empfohlen. Und : "Die Fusionslösung hat signifikante Synergievorteile gegenüber Kooperationslösungen". Noch einmal vorgerechnet: "Aus der Fusion der Stromgeschäfte von Energie AG Oberösterreich, Energie Steiermark AG und Verbund, wie sie die a.o. Hauptversammlung am Freitag vorgeschlagen wird, sind nach umfassenden A.T. Kearney-Erfahrungen mindestens 4 Mrd. Schilling an Kostensynergien zu erwarten.
Eine Zusammenführung der Energie Austria und der Energie Allianz aus EVN, ESG und Wienstrom zu einer "Österreich-Lösung" würde Synergieeffekte von bis zu 7 Mrd. Schilling erzielen lassen, eine Kooperationslösung zwischen diesen 6 Unternehmen brächte weniger als die Hälfte dieses Wertes".
Maier weiß, dass er leicht rechnen hat. A.T.Kearney berät zwar nicht die Energie Austria, ist aber für die drei Partner der Energie Austria tätig gewesen. "Wir haben für diese Studie von niemandem ein Mandat, aber die Fakten sollen auf dem Tisch liegen". Sollte die geplante Fusion zur Energie Austria am kommenden Freitag scheitern, hält er "Kooperationen, welcher Art auch immer, für besser als nichts".
Einstweilen gibt es nicht wenige Branchenkenner, die befürchten, der Begriff "Österreichische Stromlösung" könnte als Legende in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wie früher "Polnisch wirtschaften" - ausdrücklich Pardon erbeten, dort sind die Zeiten lang vorbei, oder der berühmte "russische Kronleuchter". Die nackte Glühbirne am Leitungsdraht würde immerhin gespeist aus heimischer Wasserkraft, auch wenn ihr Eigentümer in Paris oder Essen sitzt.