Schon wieder gerieten Kanzler und Vizekanzler über das Flüchtlings-Thema in Streit.
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Wien. Die großen gemeinsamen Ziele, wie etwa der Beitritt zur Europäischen Union 1995, aber auch große Krisen, wie der Crash der Weltwirtschaft im Nachhall der Lehman-Brothers-Pleite 2007, warenn stets jene Momente im Lauf der heimischen Geschichte, in denen die große Koalition sowie die realpolitische Verfasstheit der Republik Österreich ihr Funktionieren dokumentierten.
Dieser Moment jedoch, in dem Österreich, so wie auch einige andere EU-Länder, mit einer Flüchtlingsbewegung historischen Ausmaßes konfrontiert ist, geht ein Riss durch die Regierung, der so breit scheint, dass eine Brücke darüber schwer zu realisieren sein dürfte. Im Zaunstreit ist sich eine gütliche Lösung unter beidseitiger Gesichtswahrung noch gerade so irgendwie ausgegangen, bei der geplanten Asylgesetznovelle wird das nicht einfacher. Denn in dieser Frage gehen die Meinungen auch innerhalb der Parteien auseinander.
Faymanns Ärger über Kurz
Schon allein die Tatsache, dass das Innenministerium den Entwurf selbst in Begutachtung schickte, es also keine gemeinsame Regierungsvorlage gab, ist bei einem doch großen Gesetzesvorhaben bemerkenswert. Am Montag ist nun die Begutachtungsfrist abgelaufen, in den kommenden Wochen wird es daher spannend, wie sich das Vorhaben von Ressortchefin Johanna Mikl-Leitner entwickeln wird. Oder ob es sogar überhaupt entsorgt wird, wie es das Rote Kreuz fordert.
In seiner Stellungnahme fasst Generalsekretär Werner Kerschbaum die Kritik fast aller antwortenden Stellen in einem Satz recht treffend zusammen: "Nachdem das Asylrecht bereits jetzt alle nötigen Regelungen zur Aberkennung des Asylstatus enthält, plädieren wir für eine ersatzlose Streichung der geplanten Regelung, welche sowohl auf Seiten der Asylberechtigten als auch auf Seiten der Aufnahmegesellschaft (Arbeitgeber etc.) Unsicherheiten schafft und zu einer vermeidbaren Belastung von Personen und Behörden führt."
Zum wiederholten Mal geriet am Dienstag auch die Regierungsspitze beim Thema Flüchtlinge vor laufenden Kameras und mitschreibenden Journalisten in Streit. Nach dem Ministerrat ärgerte sich Werner Faymann über neue Ideen aus den Reihen der ÖVP, wonach es Ausnahmen für das temporäre Asyl geben soll. Man sollte nicht "irgendetwas aus der Hüfte schießen, was drei Tage später nichts mehr wird, weil man nichts mehr davon hört", sagte der Kanzler. Reinhold Mitterlehner replizierte umgehend: "Das möchte ich nicht so im Raum stehen lassen", antwortete der Vizekanzler. Vielmehr würden Vorhaben drei Tage abgelehnt, dann aber doch umgesetzt werden.
Ob dies mit dem Asylgesetz so passieren wird, ist jedoch fraglich. Vor allem von der Wiener SPÖ kommt ganz massiver Widerstand. In ihrer Stellungnahme teilt das Amt der Wiener Landesregierung ganz zu oberst sehr klar und deutlich mit: "Der Entwurf wird zur Gänze abgelehnt." Nach Wien zieht es die meisten Flüchtlinge und integrative Maßnahmen sind in einer großen Stadt generell schwieriger zu setzen als in kleinen Dorfgemeinschaften. Dazu kommt, dass Personen nach dem Entzug eines Aufenthaltstitels unter- und in die Anonymität Wiens abtauchen.
Hemmnis für Integration
Für die Wiener SPÖ verstärkt der Plan Mikl-Leitners die anstehenden Herausforderungen bei der Integration der Asylwerber. Auch andere Stellen, von der Caritas bis zur Industriellenvereinigung, werden integrationspolitische Bedenken angemeldet. Einerseits, weil deutliche Einschränkungen beim Familiennachzug im Entwurf stehen, vor allem aber, weil ein befristeter Aufenthaltstitel zu einer Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt führt. "Es zeigte sich schon in der Vergangenheit, dass Personen mit befristeten Schutzstatus deutlich größere Schwierigkeiten hatten, einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu finden", schreibt die Industriellenvereinigung in ihrer Antwort. Das schaffe die paradoxe Situation: "Auf der einen Seite verlangt man von Zuwandernden, Gesellschaft und Wirtschaft rasche und intensive Integrationsbemühungen, umgekehrt schafft man mit ,Asyl auf Zeit‘ eine Rahmenbedingung, die diese Integration konterkariert."
Auch die IV will das Gesetz prinzipiell nicht. Sollte es dennoch in einer Form kommen, schlägt die IV (wie auch die Wirtschaftskammer) Ausnahmeregelungen für gut integrierte, also länger beschäftigte Asylberechtigte vor. Sie sollten bleiben können, auch wenn der Fluchtgrund weggefallen ist. Auch Außenminister Sebastian Kurz schlägt ein Anreizmodell vor, allerdings geht die Stellungnahme seines Ministeriums nicht ganz so weit, ein Bleiberecht zu fordern. Gute Integrationsleistungen sollen in einem "allfälligen Verfahren zur Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden". Das kann, muss aber kein Bleiberecht bedeuten.
Für Mikl-Leitner wäre ein Anreizsystem, wie es ihr Kollege Kurz vorschlägt, eine "gute Idee", wie sie nach dem Ministerrat knapp erklärte, doch das hieße eine weitere Prüfung jedes einzelnen Falles und also eine weitere Belastung der Verwaltung. Bereits jetzt ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl überlastet, die Verfahren daueren Monate. Wenn nun nach drei Jahren Aberkennungverfahren geführt werden müssen, sowie danach noch geprüft wird, ob vielleicht subsidiärer Schutz erteilt werden muss und dann zusätzlich noch die Integrationsleistung beurteilt werden muss, wird es verwaltungstechnisch schon recht schwer zu überblicken.
Mehrkosten für Verwaltung
Dass die geplanten Aberkennungsverfahren zu einem bürokratischen Mehraufwand führen, ist klar. Dem gegenüber stehen jedoch - in der Theorie - auch Einsparungen, etwa bei der Mindestsicherung, wenn Asylberechtigte, die diese beziehen, ihren Aufenthaltstitel nach drei Jahren tatsächlich verlieren sollten.Andererseits, rechnet Wien vor, könnten durch die Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt die Anzahl der Bezieher von Mindestsicherung wieder steigen.
Wie die Regierung aus dieser verfahrenen Situation noch zu einem Kompromis gelangen kann, ist kaum zu sehen. Zumal Mitterlehner über "Kapazitätsobergrenzen" fabulierte und postwendend eine verärgerte Aussendung aus der Bundeszentrale der SPÖ ernente. Sicher ist: Fortsetzung wird folgen.