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Gewiss. Für jede einzelne Baustelle, auf der sich die EU abmüht, gibt es eine Erklärung. Das Problem ist: Fast allesamt dienen sie einer Flickschusterei, die notdürftig zusammenhalten will, was ansonsten auseinanderstreben würde; die gesamte Energie der EU geht im Kampf mit den Altlasten der Vergangenheit und den Tücken der Gegenwart auf; die Arbeit an der Zukunft muss sich hinten anstellen.
Der Brexit ist dabei nicht einmal das eigentliche Problem. Für den ist die Union nicht verantwortlich, zum Chaos der britischen Politik, das nun seit mehr als drei Jahren praktisch jedes Gipfeltreffen beschäftigt, kamen die EU-27 wie die Jungfrau zum Kind. Viel fataler ist, dass auf allen anderen Baustellen nichts oder aber viel zu wenig weitergeht.
Gerade eben haben die EU-Außenminister in Luxemburg der Eröffnung von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien einmal mehr eine Absage erteilt. Vor allem Frankreich steht einer erneuten Erweiterungsrunde am Balkan aus grundsätzlichen Gründen ablehnend gegenüber (die ebenfalls Einspruch erhebenden Niederlande sind grundsätzlich dafür, haben aber konkrete sachliche Einwände vorgebracht).
Richtig ist, dass der übereilte Beitritt Rumäniens und Bulgariens ein Fehler war; genauso richtig ist, dass der Westbalkan für die EU von eminentem geopolitischen Interesse ist; und dass zwischen der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen und einem Beitritt ein kategorischer Unterschied besteht: Ersteres ist eine politische Botschaft des Wollens; über einen Beitritt darf dagegen allein die Erfüllung sämtlicher Kriterien entscheiden.
Die Gräben setzen sich in der europäischen Innenpolitik fort: Im Streit um das nächste EU-Budget trennt Nettozahler und Nettoempfänger nach wie vor die grundsätzliche Frage, ob mehr Mittel tatsächlich unerlässlich sind. Selbiges gilt für die bisher fruchtlosen Bemühungen, die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten schrittweise und nach den Erfordernissen des Konjunkturzyklus nach einem einheitlichen Kompass auszurichten; dieses Unterfangen scheitert nicht, weil das Ziel an sich umstritten wäre, sondern weil über Mittel und Wege gestritten wird.
Bei der Flüchtlingspolitik besteht zwar Einigkeit, dass das Dublin-System kontraproduktiv ist, allein, es fehlt die politische Kraft, das Unpassende durch etwas Passendes zu ersetzen. Dies überraschenderweise deshalb, weil einmal mehr kein Konsens im Grundsatz besteht.
Eine neue Kommission könnte natürlich für neuen Schwung sorgen. Könnte. Der Konjunktiv ist längst zum ständigen Begleiter Europas geworden.