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Die Konkretisierung der Gesundheitsreform

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Durch die Gesundheitsreform sollen Patienten zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle - am "Best Point of Service" - behandelt werden.


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Die Institutionenorientierung (Spitalsstandorte und Kassenplanstellen) soll zugunsten einer patientenorientierten, integrierten Versorgung beendet werden: Klingt abstrakt! Wie soll das konkret aussehen?

Betrachten wir Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen CED (Collitis Ulcerosa und Morbus Crohn): Etwa 40.000 Menschen leiden daran - und sie leiden wirklich. Sie müssen lebenslang Medikamente mit heftigen Nebenwirkungen einnehmen, werden oft operiert, erkranken häufig an Dickdarmkrebs (Krebsangst!) und verlieren wegen häufiger Krankenstände ihre Arbeit. Die Lebensqualität ist erheblich eingeschränkt.

Das ist zudem sehr teuer. Alleine die direkten Kosten liegen bei etwa 4000 Euro pro Jahr. Indirekten Kosten, etwa durch Arbeitslosigkeit, verdoppeln diesen Wert rasch.

Um diesen Patienten nachhaltig helfen zu können, ist es nötig, sie lebenslang medizinisch gut zu begleiten. Ihre Blutwerte müssen kontrolliert werden, sie brauchen regelmäßig Darmspiegelungen, müssen motiviert werden, ihre Medikamenten zu nehmen, brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Werden Patienten so, eben integriert, versorgt, erhöht sich ihre Lebensqualität und sinken die Kosten.

Bei uns funktioniert das eher schlecht, wie man an der Häufigkeit der Spitalsaufnahmen, die international als (ein) Qualitätsindikator für integrierte Versorgung dient, erkennt. Zwar sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, aber in Österreich muss ein CED-Patient im Schnitt alle 4,4 Jahre stationär versorgt werden. In Italien ist es nur alle 7 Jahre nötig - Verbesserungspotenzial ist also vorhanden. Gehen wir davon aus, dass die Politik es ernst meint, dann müssen zuerst messbare Bundesziele (übrigens bis 30. Juni 2013) beschlossen werden. Die könnten so aussehen: Senken der Spitalsaufenthalte bei CED bis 2016 auf im Schnitt alle 6 Jahre.

Dieses Bundesziel muss nun dezentral konkretisiert werden - und das ist wichtig.

Betrachtet man nämlich die Bundesländer einzeln, wird klar, wo die Versorgung (gemessen an mehrtägigen Spitalsaufnahmen) besser, wo schlechter funktioniert.

Im Burgenland müssen unsere Patienten alle 1,6 Jahre stationär behandelt werden. Ganz anders im "besten" Bundesland, Tirol, dort sind es nur alle 7,1 Jahre; Wien ist mit 6,5 Jahre ähnlich gut, Oberösterreich mit 3,5 Jahre dafür wieder schlechter.

Praktisch jedes Land muss eigene Ziele und Maßnahmen setzen, und das könnte so aussehen: Reduktion von Spitalsaufenthalten bei CED durch Implementierung ambulanter Versorgungskonzepte.

Diese Konzepte müssen entwickelt werden: Vom Hausarzt bis zum spezialisierten Facharzt müssen Anlaufstellen (Best Point of Service) definiert werden, Anreize so gestellt werden, dass Patienten dorthin geleitet werden, Aus- und Fortbildungskonzepte für Ärzte und Patienten müssen entworfen werden, und und und. All das muss in den Zielsteuerungsvertrag mit dem Bund (abzuschließen am 30. September 2013) eingearbeitet und danach abgearbeitet werden.

Das ist alles sehr viel echte Arbeit, weit weg vom Glamour der "großen Politik". Ob unsere Entscheidungsträger dafür bereit sind?