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Ein Mail des Innenministeriums an die Polizei "regt an", was Bürger über Kriminelle erfahren sollen - Gewalt in der Familie ist kaum Thema.
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Wien. Die Reaktionen auf das am Montag Abend von den Tageszeitungen "Kurier" und "Standard" veröffentlichte Mail des Ressortsprechers des Innenministeriums, Christoph Pölzl, blieben nicht lange aus. Es sorgte für Kritik - auch von höchster politischer Stelle.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der sich aktuell bei der UNO-Generalversammlung in New York befindet, betonte in einer Aussendung: "Die Freiheit der Meinungsäußerung, die Medien- und Pressefreiheit sind Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie und unseres Rechtsstaates in Österreich. Jede Einschränkung von Pressefreiheit ist inakzeptabel."
Van der Bellens Kritik bezog sich auf die Passage zu kritischen Medien, wo sich Pölzl "erlaubte", wie er sagte, "vorzuschlagen, die Kommunikation mit diesen Medien auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken". Das Mail enthielt allerdings nicht nur das. Unter dem Titel Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus wurden die Polizisten angewiesen, sofern datenschutzrechtlich unbedenklich, beides in Aussendungen zu benennen - "vor dem Hintergrund einer größtmöglichen Transparenz".
Kritik erntet aber auch die zu Sexualdelikten ausformulierte Passage des Mails, und zwar von Gewaltschutzeinrichtungen.
Gefahr lauert in der Familie
In der Passage steht zwar, dass es sich bei Sexualdelikten "um ein heikles Thema" handle. Gleich im Anschluss heißt es aber, "dennoch darf ich euch bitten, vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden, besondere Modi Operandi (z.B. antanzen (sic!)) aufweisen, mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigungen erfolgen, oder wenn zwischen TäterIn und Opfern keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden". Anders aber, "wenn es sich um eine reine familieninterne Tat handelt". Hierzu heißt es, "so kann selbstverständlich nach wie vor von einer Veröffentlichung abgesehen werden".
Das macht Marina Sorgo, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Gewaltschutzzentren Österreichs, "hellhörig": "Das heißt, wir kehren wieder in die 70er Jahre zurück, wo man jungen Frauen gesagt hat: Gewalt passiert draußen, und keiner davon gesprochen hat, wie gefährlich es für Frauen in der Familie ist."
Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, fragt sich, "welche Ängste hier geschürt werden sollen? Das verunsichert die Bevölkerung, und sorgt nicht für mehr, sondern weniger Sicherheit von Frauen." Denn: "Das wirkliche Problem, dass die meiste Gewalt im Privaten in den eigenen Wänden passiert, wird damit heruntergespielt." Logar spricht von einem Viertel der Frauen, die einmal in ihrem Leben Gewalt in der Familie erleben.
2017 mussten die Gewaltschutzzentren insgesamt 18.860 Personen wegen Gewalt in der Familie beraten, 8755 Mal wurde von der Polizei gegenüber einem Gewalttäter in der Familie ein Betretungsverbot verhängt. Auch die polizeilichen Kriminalstatistik besagt: "Zwei von drei Gewalttaten sind Beziehungstaten." Die Anzeigen seien bei Gewaltkriminalität um 2,4 Prozent auf insgesamt 42.079 zurückgegangen. Der Bundesverband der Gewaltschutzzentren weist darüber hinaus darauf hin, dass von den insgesamt 54 Menschen, die 2017 ermordet wurden, 36 Opfer von Gewalt in der Familie und im sozialen Nahraum waren.
Manfred Reinthaler, Leiter der Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien, spricht bei den Sexualdelikten sogar von 80 Prozent der Fälle, wo es eine Täter-Opfer-Beziehung gebe: "Bei solchen Taten im familiären Bereich könnte die Identität des Opfers leicht nachvollzogen werden, deswegen wird hier zumeist von einer Veröffentlichung abgesehen. Es ist eine Frage der Prioritäten."
Es zeichnet aber auch ein falsches Bild davon, wo und von wem die Gefahr ausgeht. "Und es war jetzt schon kein realistisches", sagt Maria Pernegger, die Medien für Media-Affair analysiert. Über häusliche Gewalt und österreichische Täter werde kaum berichtet, "mit einem Asylwerber, der vergewaltigt, vom Boulevard aber Reichweite erzielt".
Rücktrittsforderungen
Derweil häufte sich am Dienstag die Kritik an Minister Kickl, von Medienvertretern, aber auch der Opposition, die ihn zum Rücktritt aufforderte, weil er "ein massives Problem für die Republik" sei, sagte SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried. "Wer kein Demokrat ist, hat in dieser Regierung nichts verloren", sagte Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger. Er sei "für dieses Amt zumindest ungeeignet, wenn nicht untragbar", begründete Bruno Rossmann, Klubobmann der Liste Pilz.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), ebenfalls bei der UNO-Generalversammlung, sprach sich zwar für Pressefreiheit aus und stellte klar: "Die Ausgrenzung oder der Boykott von ausgewählten Medien darf in Österreich nicht stattfinden. Das gilt für die Kommunikationsverantwortlichen aller Ministerien und öffentlichen Einrichtungen." Zu Minister Kickl oder dessen Verantwortung für das Mail sagte er aber nichts.
Fragen der "Wiener Zeitung" wollte Kickl am Dienstag nicht beantworten, er äußere sich erst am Mittwoch im Parlament, hieß es aus dem Ministerium. In einer Aussendung hieß es, der Innenminister habe ein klärendes Gespräch mit Pölzl geführt. Hier wird Kickl unter anderem mit dem Satz: "Die Pressefreiheit ist unantastbar und ein wesentlicher Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft", zitiert. Man werde Leitlinien für die Kommunikation erarbeiten.
Sonst überließ er die Kommunikation den Sprechern: Die sagten am Montag zwar, dass der Innenminister nicht Auftraggeber des Mails gewesen sei. Man sah aber auch den "Verdacht der Voreingenommenheit" von "Kurier" und "Standard" angesichts deren Schlagzeilen "durchaus nicht aus der Luft gegriffen".