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"Die Korruption erstickt jegliches Unternehmertum"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Experte Mangott: Ohne Kehrtwende lässt sich Russland nicht modernisieren.| Bei Wladimir Putin konnte man Zweifel haben, wie ernst er es mit dem Kampf gegen Korruption meint.


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Moskau. Russland gilt als eines der korruptesten Länder weltweit: Die Organisation Transparency International führte das Land zuletzt auf Platz 154 von 178 Staaten. Zwar hat Kremlchef Dmitri Medwedew das epidemische Ausmaß von Schmiergeldern wiederholt gegeißelt und im Kampf gegen die Bestechung drakonische Geldstrafen eingeführt. Geändert hat das wenig: 52 Prozent der befragten Russen halten die Regierungsmaßnahmen für ineffizient.

"Das negative Bild ist leider gänzlich richtig", bestätigt der Innsbrucker Experte Gerhard Mangott im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Situation sei sogar noch erheblich schlimmer geworden. Bei Wladimir Putin konnte man Zweifel haben, wie ernst er es mit dem Kampf gegen Korruption meint. Medwedew mag tatsächlich aufrichtige Intentionen haben, etwas zu ändern. Ihm fehle aber die Autorität und Durchsetzungskraft. In der Praxis werden Gesetze schlicht ignoriert. Lokale Beamte können so in Kooperation mit Sicherheitsorganen Unternehmer erpressen - oder drohen, diese vor Gericht zu bringen. Minimal aufgebesserte Gehälter in der Polizei und Justiz haben wenig geholfen. Begünstigt wird das System durch eine überbordende Bürokratie, die Genehmigungen und Bewilligungen sonder Zahl verlangt.

Bevölkerung ist zynisch

Ob Finanzholding eines Oligarchen oder Kleinbetrieb - die Mechanismen sind die gleichen. Ebenso sind russische Unternehmer und ausländische Konzerne in gleicher Weise betroffen. So musste auch der schwedische Möbelkonzern Ikea die Erfahrung machen, dass in Russlands Geschäfte nur geschmiert laufen - und hat sich zurückgezogen. Unter diesen Vorzeichen gibt es wenig Aussicht, Russlands Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu verringern. Ohne Kehrtwende in Sachen Korruption kann der Umbau zu einer leistungsfähigen Volkswirtschaft, die mit anderen Exportgütern glänzt, nicht funktionieren, sagt Mangott: "Freies Unternehmertum wird erstickt. Ohne Rechtssicherheit und Schutz vor Verwaltungs- oder Gerichtswillkür sind zivile Bewegungen im ökonomischen und politischen Bereich gänzlich unmöglich." Das verhindert nicht zuletzt der Zynismus, den die Bevölkerung gegenüber dem politischen System und dem Staat entwickelt hat. Es brauche die Schlüsselentscheidung, Russland korruptionsfrei machen zu wollen: "Sonst lässt sich das Land weder modernisieren noch demokratisieren."

Bisher war Russland freilich nicht wirklich auf einen Umbau angewiesen: Sprudelnde Öl- und Gasexporte und hohe Energiepreise haben jeglichen Reformdruck vom Kreml genommen. Dass sich das rasch ändern kann, habe die Krise gezeigt, sagt Mangott: "Der Absturz der Jahre 2009 bis 2011 war nur zu bewältigen, weil Russland jene Reserven aufgebraucht hat, die es davor mit Überschüssen aus den Öl- und Erdgasexporten aufgebaut hatte." Diese Strategie sei weder nachhaltig noch wiederholbar. Solange gut ausgebildete junge Russen das Land in Scharen verlassen, werde die Leistungsfähigkeit Jahr für Jahr weiter sinken.

Die Führung verkenne die Prioritäten völlig: So würden die Ausgaben für Streitkräfte sowie für Polizei und Geheimdienste bis 2014 im gerade beschlossenen Budget von 25 auf 33 Prozent steigen - Bildung und Gesundheit fallen von jeweils 5 auf 3 Prozent. Vom bevorstehenden Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO erwartet der Experte positive Effekte, die aber erst mittelfristig spürbar werden. Eine neue Weichenstellung der Wirtschaft könne wohl nur ein externer Schock bewirken, der die Einnahmen aus Rohstoffexporten dramatisch sinken lässt.