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Interview mit dem Leiter der Protestbewegung "Vetevendosje", Albin Kurti. | Vorwürfe gegen UN-Verwaltung.
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"Wiener Zeitung":Warum sieht die UN-Verwaltung im Kosovo in Ihnen eine Bedrohung?Albin Kurti: Die Unmik ist eine neo-koloniale, teils korrupte Organisation, die keinerlei demokratische Legitimation hat. Die Menschen im Kosovo haben diese Fremdherrschaft satt und wollen endlich ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Um ihren Verbleib im Kosovo zu sichern, will die Unmik ihre Mission als Erfolgsgeschichte verkaufen, und da passen Demonstrationen einfach nicht ins Bild. Man könnte sagen, dass ich der einzige politische Gefangene der Vereinten Nationen bin. Ich bin innerhalb von fünf Monaten Hausarrest nur eine halbe Stunde verhört worden. Ganz offensichtlich geht es um die Isolation meiner Person - das ist das Ziel dieses Schauprozesses.
Die "Vetevendosje" fordert von der Regierung die sofortige Ausrufung der Unabhängigkeit. Heißt das, Sie wollen einen Kosovo ohne jegliche Einmischung von außen?
Wir haben nichts gegen internationale Präsenz im Kosovo. Im Gegenteil: Internationale Experten sollen uns helfen, beraten und Monitoring-Tätigkeiten durchführen. Aber wir akzeptieren keine Bevormundung, wie sie durch den Ahtisaari-Plan der "überwachten Unabhängigkeit" fortgesetzt werden würde. Auch die internationalen Truppen können gerne bleiben, aber nur in Kombination mit einem unabhängigen Kosovo. Momentan werden wir ausgebeutet.
Verstehen Sie die Bedenken, ein unabhängiger Kosovo könnte seine Minderheiten nicht ausreichend schützen?
Der Schutz der Minderheiten ist ein vorgeschobenes Argument. Alle Minderheiten, abgesehen von der serbischen, treten für die Unabhängigkeit ein.
Die serbische Minderheit ist aber die größte...
Ja, die Serben machen rund sieben Prozent der Bevölkerung im Kosovo aus. Viele von ihnen wollen sich am politischen Prozess beteiligen und werden deshalb von Belgrad unter Druck gesetzt. Ich glaube nicht an Integration ohne Entwicklung. Wenn man eine Fabrik im Kosovo baut und dort Serben und Albaner arbeiten lässt, werden sie kommunizieren und kooperieren. Wenn sie Prosperität spüren und sie etwas zu verlieren haben, werden sie zusammenarbeiten. Aber wenn du am Rande der Existenz lebst, werden sogar Freunde und Brüder leicht eifersüchtig aufeinander. In einem halbleeren Bus ist jeder ein Gentleman. Wenn er aber voll ist, wird man schwer einen Gentleman finden.
Ist es nicht zu einfach, die angespannten Beziehungen zwischen den Volksgruppen auf die wirtschaftliche Lage zurück zu führen?
Die Beziehungen zwischen Albanern und Serben waren immer abhängig von der Distanz des Kosovo zu Belgrad. Mitte der Siebzigerjahre war der Kosovo weitgehend selbstbestimmt. Damals funktionierte es zwischen den Volksgruppen. In den Neunzigern war die Qualität der interethnischen Beziehungen am Tiefpunkt, weil der damalige Präsident Slobodan Milosevic den Kosovo unter die Kontrolle Belgrads brachte. Ich denke, dass die Beziehungen zwischen Albanern und Serben durch Belgrads Politik weit mehr gefährdet werden als durch die Unabhängigkeit.
Welche politischen Ziele verfolgt Belgrad Ihrer Meinung nach?
Serbien verwendet die Minderheitenfrage dazu, den Kosovo zu spalten. Für Premier Vojislav Kostunica geht es um territoriale Kompensation. Er will möglichst lange auf Zeit spielen, um dann einen Teil des Kosovo gegen die serbisch dominierten Gebiete Bosniens (Republika Srpska) einzutauschen. Das ist Belgrads Plan, der bis jetzt gut funktioniert hat. Wir sind geschwächt, unsere Politiker sind korrupt und erpressbar. Die serbischen Minderheitenvertreter im Kosovo werden durch Belgrad instrumentalisiert.
Erwarten Sie, dass der künftige Kosovo-Premier Hashim Thaci nach dem 10. Dezember einseitig die Unabhängigkeit ausruft?
Nein, Thaci hat als Premier weit weniger Freiheiten, als er dachte. Die Europäische Union wird ihn verwenden, um die Bevölkerung des Kosovo weiter zu vertrösten und die Entscheidung aufzuschieben. Dann wird Thaci irgendwann mit Belgrad einen halbherzigen Vertrag abschließen. Seine Versprechen, die Unabhängigkeit auszurufen, sind eine Farce.
Zur Person:
Albin Kurti (32) ist Anführer der nationalistischen kosovo-albanischen Protestbewegung "Vetevensdoje" (Selbstbestimmung), die Zustimmung bei 15 Prozent der kosovarischen Bevölkerung findet. Bei zunächst friedlichen Demonstrationen im Februar eskalierte die Situation, nachdem zwei Kfor-Soldaten mit Gummigeschoßen das Feuer eröffnet hatten. Zwei Demonstranten starben. Unmik (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) klagte Kurti an, zu Gewalt aufgerufen zu haben. Der Ex-Pressesprecher der Befreiungsarmee UCK steht seitdem unter Hausarrest.