Die Finanzminister der EU-Staaten haben sich in der Nacht auf Montag auf ein Kompromisspapier zur Reform des Euro-Stabilitätspakts geeinigt. Für die Überschreitung der gleich bleibenden Defizitgrenzen soll es künftig eine Reihe von nicht sehr | genau definierten Ausnahmen geben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der "verjüngte Pakt mit neuer Glaubwürdigkeit" sei eine optimale Kombination für "Stabilität und Wachstum", pries Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso gestern den Kompromiss, der eine monatelange Spaltung der EU beendete.
Der Widerstand gegen das Insistieren des deutschen Finanzministers Hans Eichel auf der Berücksichtigung der deutschen Wiedervereinigung bei der Bewertung seines Budgetdefizits hatte zuvor bis spät in der Nacht angehalten. Dann war die Zauberformel gefunden: Die Kosten für die "Vereinigung Europas" sollen künftig bei jeder Überschreitung der obligaten Defizitgrenze von drei Prozent durch ein Land der Eurozone "berücksichtigt" werden, falls diese "eine nachteilige Auswirkung auf das Wachstum und die Haushaltsbelastung des Mitgliedstaats" darstellen. Zusätzlich dürfe ein Defizitsünder auch fallspezifische eigene "relevante" Faktoren anführen; Ausgaben für Forschung und Entwicklung, "zur Stärkung der internationalen Solidarität" und "Erreichung von europapolitischen Zielen" sollen ebenfalls potenziell mildernde Gründe sein. Dafür soll in "guten Zeiten" gespart werden.
Das sei "keine Aufweichung des Stabilitätspaktes", erklärte der luxemburgische Regierungschef und EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker nach der geglückten Einigung mitten in der Nacht. Das sei ein "Neustart" mit unveränderten Grundregeln.
Kommission macht geltend
All die Faktoren dürfen keineswegs von den nationalen Behörden "herausgerechnet" werden, sondern erst bei der Bewertung des Defizits durch die Kommission geltend gemacht, hieß es. Diese kann sie dann "berücksichtigen". Unverändert sei bei jeder Überschreitung der Grenze ein Bericht anzufertigen. Die Verantwortung der Kommission sei künftig größer, erklärte Barroso, weil sie in jedem Einzelfall eine "umfassendere wirtschaftliche Bewertung" durchführen müsse.
Jedenfalls dürfen die Defizite nur "kurzzeitig und knapp" über drei Prozent bleiben, formuliert das Kompromisspapier weiter vage. "Kurzzeitig" heißt in diesem Fall, dass ein Land zwei Jahre statt wie bisher nur ein Jahr Zeit erhält, um seine Neuverschuldung unter das Limit zu drücken. Diese Frist kann um weitere zwei Jahre verlängert werden, wenn eine unvorhergesehene Wirtschaftsentwicklung das Budget weiter belastet.
Dies reicht, um dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder bis nach den Wahlen 2006 den Rücken freizuhalten, wie Diplomaten in Brüssel bemerkten. Dementsprechend zufrieden war Finanzminister Hans Eichel.
"Nicht die bestmögliche Reform" war es dagegen für den österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der die Berücksichtigung der deutschen Wiedervereinigung noch am Sonntag als "Treppenwitz der Geschichte" bezeichnet hatte. Später musste er einsehen, dass die Entscheidung zuvor an anderer Stelle gefallen war. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel habe Grasser telefonisch zu verstehen gegeben, dass der Minister seinen Widerstand aufgeben müsse, berichtete die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf österreichische Quellen. Dass eine Einigung an Österreich scheitere, sei nach dem Treffen Schüssels mit Schröder am Freitag in Wien ausgeschlossen.
Schüssel zeigte sich gestern mit der Einigung zufrieden. Damit sei verhindert worden, dass hohe Budgetdefizite akzeptabel werden, erklärte er.
Kritik kam von der Europäischen Zentralbank (EZB), der deutschen Bundesbank und der Oesterreichischen Nationalbank: Mit den neuen Regelungen werde der Pakt entscheidend geschwächt. OeNB-Gouverneuer Klaus Liebscher sprach sich gegen eine "vorzeitige Schuldenpolitik" aus. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hingegen meinte, dass nicht immer "um jeden Preis gespart und die Konjunktur belastet" werden müsse.