Zum Hauptinhalt springen

Die Kraft der Veränderung

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Kraft, die von den gesellschaftlichen Veränderungen ausgeht, zerrt an SPÖ und ÖVP erheblich. Auch wenn sie sich jeweils selbst zur Kraft der Veränderung machen wollen, haben beide noch einen weiten Weg vor sich. Für die Sozialdemokraten ist die wachsende Ungleichheit der Gesellschaft eine ernste Bedrohung. Für die Christdemokraten sind die neuen Formen der Familie eine ebenso existenzielle Frage.

Auf die Globalisierung der Wirtschaft plus die digitale Veränderung der Arbeitswelt haben beide Parteien keine befriedigende Antwort. Nun, auch andere Parteien haben das nicht - aber auch kaum Regierungserfahrung.

Sowohl der Parteitag der SPÖ als auch der Evolutionsprozess der Volkspartei zeigen ein tiefes Misstrauen ins Wirtschaftssystem. Vor allem die Jungen in der SPÖ formulieren ihre Kapitalismuskritik hart. Bei der ÖVP gibt es die meisten Modernisierungsvorschläge zum Thema "ökosoziale Marktwirtschaft", die System-Kritik nur höflicher formuliert.

Das Erstaunliche daran ist, dass die jeweiligen Partei-Organisationen darauf kaum Rücksicht nehmen. Aus der SPÖ kommt wenig zum Thema, denn ihr Obmann ist Bundeskanzler - und als solcher folgt er im Europäischen Rat einer konservativen Mehrheit. Aus der ÖVP kommt wenig zum Thema, denn ihr Obmann ist Vizekanzler - und stimmt auf europäischer Ebene für liberale Handelsregeln, die wenig mit ökosozialer Marktwirtschaft zu tun haben.

Die beiden Regierungsparteien tragen an der Spitze den ökonomischen Mainstream mit - doch immer mehr Menschen sind damit unzufrieden.

So wenden sie sich den Vereinfachern zu. Die FPÖ gibt Antworten, doch die erzeugen Hass und wären wirtschaftlicher Selbstmord.

SPÖ und ÖVP müssen auf die Globalisierung Antworten finden, die Menschen einen Platz darin gibt. Das Steuersystem fußt auf antiquierten Annahmen - es muss geändert werden. Das Bildungssystem versagt bei vielen Jugendlichen - es muss geändert werden. Banken wirtschaften schlecht - sie sollen pleitegehen. Die Arbeitswelt schafft prekäre Jobs und Ein-Person-Unternehmen - kein Sozialpartner vertritt sie adäquat. SPÖ und ÖVP wollen selbst reformieren. Doch dazu müssen sie auch das von ihnen nach 1945 geschaffene System grundlegend ändern. Zu schaffen ist das nur, wenn die Kritiker in beiden Parteien auch entscheiden können.