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Die Krankheit ist noch nicht besiegt

Von Claudia Villani

Gastkommentare
Claudia Villani arbeitet für die Dr. Ruth Pfau Stiftung als freiwillige Helferin in Pakistan (www.ruth-pfau-stiftung.de). Spendenkonto: 28422602500, Blz. 20111.

Die Lepra ist in Pakistan unter Kontrolle. Nur dürfen wir nicht den folgenschweren Fehler machen, zu glauben, dass es sie nicht mehr gibt.


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Ormara, eine Küstenstadt in der pakistanischen Provinz Baluchistan:

Das Team der Entwicklungshelferin Ruth Pfau behandelt Lepra-Patienten. Darunter ein Fischer, der gerade einmal 28 Jahre alt ist. Von oben bis unten ist der junge Mann von offener Lepra gezeichnet. Die Männer zu betreuen ist kein Problem, das können die Lepra-Asisstenten unserer Hilfsorganisation tun, aber die Frauen in seiner Familie dürfen nur von einer Frau angeschaut werden.

Schon zwei Tage der medikamentösen Behandlung reichen aus, damit ein Leprapatient nicht mehr ansteckend ist. Doch viele Patienten werden erst Monate nach dem Ausbruch der Krankheit entdeckt und behandelt. Und je ärmer eine Familie ist, desto größer ist die Gefährdung.

Die Situation der Frauen in Ormara ist fast nicht zu beschreiben. Vielleicht bringen es Zahlen besser auf den Punkt:

Fast jedes zweite Kind in der Region stirbt bei oder nach der Geburt.

(Ich habe dreimal nachgefragt, vielleicht hatte ich es ja falsch verstanden - leider stimmt es).

Noor, ein Teammitglied, erzählt uns, seine Frau habe acht Geburten gehabt, vier Kinder seien bei der Geburt gestorben, drei Mädchen und ein Bub. Wir fragen weiter. Bei jeder Familie. Lassen uns die Namen geben. Fragen weiter.

Seitdem es die "neue" (vor zehn Jahren eröffnete) Straße gibt, sei es besser, berichten die Menschen. Da würden manche Frauen mit Schwierigkeiten bis nach Karachi durchkommen (die Fahrt dorthin dauert fünf bis sechs Stunden).

Bei einem Hausbesuch treffen wir auf eine Frau, die vor zwei Wochen ihr Baby im Auto geboren hat. Die Geburt sei schwierig gewesen, sodass das Kind dann leider doch gestorben sei, erzählt sie. Und die verhinderte Mutter hat sich in ihr Schicksal gefügt: "Allah gibt und nimmt", sagt sie.

Aber wieso gibt es hier so viele Risikogeburten und wahrscheinlich auch Risikoschwangerschaften? Sind Anämie und Unterernährung der Mütter die alleinigen Gründe? Als Ruth Pfau das letzte Mal aus Saroona, einem Bergdorf in Baluchistan, zurückgekommen ist, hat sie genau über diese hohe Kindersterblichkeit berichtet.

Es wird kein Zufall sein, dass wir aus einem anderen Teil Baluchistans dieselben Eindrücke mit nach Hause bringen. Vermutlich ist in der ganzen Region die medizinische Versorgung, besonders der Kinder und Frauen, in einem katastrophalen Zustand.

In Ormara sagt ein Fischer zu mir: "Gott hat kein Interesse an Pakistan." Ich versuche dagegen zu argumentieren. Worte allein reichen nicht aus. Unsere Leprapatienten und deren Behandlung werden zu Hoffnungsträgern.

Noch vor 50 Jahren hätte niemand in Pakistan geglaubt, dass die Lepra jemals heilbar sein könnte. Nur Ruth Pfau war, als sie damals hierher kam, verrückt genug, das Unmögliche zu glauben. Doch auch wenn die Krankheit mittlerweile weitgehend unter Kontrolle ist, dürfen wir nicht den folgenschweren Fehler machen, zu glauben, dass es sie nicht mehr gibt. Das würde in eine neue Katastrophe hineinführen.