)
"Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze", klagte Schiller. Das ging auch einer Berliner Göre so, die gar keine Berlinerin war und 54 Jahre nach ihrem Tod immer noch quicklebendig ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Willkommen - Bienvenue - Welcome" im Berlin der goldenen 20er Jahre. Die 1200 Plätze in der Scala sind ausverkauft. Der Vorhang öffnet sich, auftritt eine kesse, kleine Pummelige mit Himmelfahrtsnase, brandrotem Bubikopf, Schlips, Hemdbluse und Sakko, erhebt die kratzbürstige, verrauchte Stimme und fragt in schmetterndem Hinterhof-Jargon: "Warum liebt der Wladimir
jrade mir?" Das bürgerliche Publikum liegt der frechen Balina Jöre ebenso zu Füßen wie die Rollkutscher, die Dienstbolzen und die Ladenmädchen.
Diese Frau macht nicht viel von sich her, steht schlicht auf der Bühne und singt ihre Drei-Minuten-Lieder, in denen sich alle Komödien und Tragödien des Daseins abspielen. Sie reduziert die Gestik, konzentriert sich auf die Mimik, vor allem die Augen.
Sie galt den Menschen dieser Zeit als Inbegriff der Berlinerin: Selbstbewusst, burschikos, frivol, "Schnauze mit Herz". Und sie war insofern auch eine typische Berlinerin, als sie gar nicht aus Berlin stammte - so wie ihr Freund, der Zeichner Heinrich Zille, der gleichfalls untrennbar zu der Stadt an der Spree gehört, obwohl er aus Sachsen stammte.
Im gleichen Monat wie die Schauspieler Ralph Arthur Roberts, Ida Wüst, Rudolf Forster und Max Nemetz, im Oktober 1884, kommt sie im rheinischen Gelsenkirchen als Clara Wortmann zur Welt. Willensstark und intelligent, erwirbt sie die Hochschulreife, damals für Frauen fast undenkbar. Die Trennung ihrer Eltern durchkreuzt die Pläne für ein Medizinstudium. Stattdessen nennt sie sich nun Claire Waldoff und beginnt eine Bühnenkarriere. Nach einigen Tingeleien in der Provinz kommt sie 1906 nach Berlin. Ihre Entdeckerin und Förderin ist die Wiener Schauspielerin Olga Wohlbrück, an deren Figaro-Theater sie auftritt. Schon im Jahr darauf wechselt sie zum Kabarett. In den Kneipen lernt sie den Berliner Tonfall. Mit Walter Kollo, der für sie das "Schmackeduzchen" schreibt, verbindet sie fortan eine lebenslange Freundschaft.
Bald werden die großen Bühnen wie die Scala oder der Wintergarten auf sie aufmerksam. Das Radio und die junge Schallplattenindustrie tragen ihren Ruf hinaus nach ganz Europa. Auch in Frankreich und England feiert sie Triumphe. Für große Diseuse Yvette Guilbert war Claire Waldoff die "grande interpréte de la chanson allemande". Kurt Tucholsky nannte sie "Klea Berolina". Sie wird zur Ikone der Epoche, nicht zuletzt durch Porträts von Oskar Kokoschka, Emil Orlik, Augusta von Zitzewitz oder Heinrich Zille.
Einer ihrer größten Hits sollte ihr zugleich zum Verhängnis werden. Als Hermann Göring letzter preußischer Ministerpräsident wurde, textete der Volksmund das Chanson kurzerhand um: "Rechts Lametta, links Lametta/und der Bauch wird immer fetta/ und in Preußen ist er Meester - Hermann heeßt er!" Claire, die sich offen zu ihrer lesbischen Verbindung mit Olga von Roeder bekannte und in Herrenbekleidung auftrat, passte nicht ins braune Frauenbild. Es folgten Schikanen, Verhaftungen und Auftrittsverbote.
Hinzu kam, dass Claire sozial engagiert war und Benefizkonzerte auch für hungernde Kommunistenkinder veranstaltete. So rauschend ihre Berliner Zeit war, so still verabschiedete sich von deren Bühnen und zog sich in ein kleines Kaff nahe der österreichischen Grenze zurück. Jeder Versuch, an alte Erfolge anzuknüpfen, scheiterte.
Die Waldoff verarmte und starb im Januar 1957, vom Publikum vergessen, begleitet nur von ihrer geliebten Olga.