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Mit jedem toten Soldaten, der im Sarg in seine Heimat zurückgebracht werden muss, sinkt in Polen die Unterstützung für das Militärengagement im Irak. Insgesamt 13 Uniformierte fanden bereits den Tod, bei den jüngsten Opfern handelt es sich um Angehörige eines Entminungstrupps, der am Sonntag südlich von Bagdad in einen Hinterhalt geraten ist.
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Andrzej Andrzejczak kann sein Unglück nur schwer in Worte fassen: "Die Armee ist nicht schuld... Aber die Regierung. Sie hat die Jungs in diesen Krieg geschickt. Was für ein Krieg ist das? Hat denn jemand Polen angegriffen? Jetzt haben wir das alles hier, jetzt sind wir selbst Mörder geworden." Immer wieder wischt sich Andrzejczak die Tränen aus dem Gesicht, seine Rede stockt. Im August ist sein Sohn Krystian als zehnter polnischer Soldat bei einem irakischen Überfall ums Leben gekommen.
Inzwischen hat sich die Zahl der getöteten polnischen Soldaten auf dreizehn erhöht. Am Sonntag geriet ein Entminungstrupp in einen Hinterhalt: Beim anschließenden Feuergefecht starben drei Soldaten. Insgesamt haben seit dem Beginn der polnischen Mission siebzehn Polen ihr Leben im Irak gelassen, neben Armeeangehörigen auch zwei frühere Mitglieder der Sondereinheit "Grom", die als Bodyguards für eine US-Firma arbeiteten und zwei TV-Journalisten.
Gesinnungswandel
Mit jedem der Toten hat sich in Polen die Stimmung geändert. Gaben zu Beginn der polnischen Präsenz im Irak die Befürworter den Ton in der Debatte an, während die Mehrheit der Bevölkerung gleichgültig schwieg, ist es nun umgekehrt. Selbst das politische Establishment, das bislang vorbehaltlos hinter den USA stand, denkt, von der steigenden Opferzahl unter Druck gesetzt, an einen Rückzug oder zumindest eine Truppenreduktion.
Am weitesten vorgewagt hat sich bislang die Bauernpartei PSL. Sie sammelt bereits Unterschriften für einen vollständigen Abzug der polnischen Soldaten aus dem Irak. Mehrere Millionen davon will Partei-Chef Janusz Wojciechowski zusammenbringen. Kein unrealistisches Ziel: Von den rund 38 Millionen Polen sind einer aktuellen Umfrage zufolge 73 Prozent gegen den Irakeinsatz. PSL-Chef Wojciechowski kann daher für sich in Anspruch nehmen, als einer der ersten öffentlich ausgesprochen zu haben, was die Mehrheit so oder so ähnlich denkt: "Das ist ein schmutziger Krieg, ein Krieg ohne jegliche moralische Berechtigung. Die Besatzerrolle widerspricht unserer nationalen Tradition."
Man bläst zum Rückzug
In die Front der Rückzugsbefürworter haben sich neben der Bauernpartei inzwischen auch die rechts-nationale Liga der polnischen Familien LPR und die populistische Samoobrona von Andrzej Lepper eingegliedert. Doch selbst in der regierenden Linkskoalition von Marek Belka sind Stimmen für einen Rückzug längst unüberhörbar. Am deutlichsten artikuliert das wachsende Unbehagen Izabela Jaruga-Nowacka von der Union der Arbeit, immerhin stellvertretende Regierungschefin: "Ich finde, dass die Unterschriftensammlung der Bauernpartei eine gute Aktion ist. Die Union der Arbeit war von Beginn an gegen diesen Krieg."
Das scheint in diesem Herbst das modische Credo unter Polens Politikern zu sein: Mich hat zu Irak keiner gefragt, ich war ja immer schon dagegen. So argumentiert jedenfalls Parlamentspräsident Jozef Oleksy vom regierenden Bündnis der demokratischen Linken SLD: "Der Entschluss für den Irak-Einsatz wurde von der Regierung gefasst, nicht von der Partei", gibt sich Oleksy auf einmal als Kriegsgegner.
Und selbst Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski, dem das polnische Kontingent im Irak untersteht, scheint sich seiner eigenen Meinung nicht mehr ganz sicher zu sein und kündigt unisono mit Präsident Kwasniewski eine "bedeutende Reduktion des polnischen Kontingents" ab 2005 an, um freilich im gleichen Atemzug anzufügen: "Bündnisverpflichtungen, die wir eingegangen sind, haben wir zu erfüllen."
Von USA enttäuscht
Tatsächlich scheint sich die Linkskoalition, die für die Truppenentsendung in den Irak verantwortlich ist, mit ihrer bedingungslosen Unterstützung der USA in eine prekäre Lage manövriert zu haben: Der erhoffte Durchbruch im Irak ist ebenso ausgeblieben wie die blühenden Geschäfte, die Polens Wirtschaft nach dem Krieg am Euphrat hätte machen sollen. Dafür wurde einmal mehr deutlich, dass Polen trotz seines proamerikanischen Engagements es nicht schaffte, für die Vereinigten Staaten ein wirklich ernst genommener Partner zu werden. Weder beim Streit um eine Visaaufhebung für Polen noch bei der versprochenen Unterstützung der polnischen Armee mit schwerem Militärgerät zeigten sich die Amerikaner bislang besonders generös. Doch so richtig zugeben wollte das in Polen niemand. Bis einem Mann der Kragen platzte, der zwar längst im politischen Ausgedinge ist, dafür aber noch nie um eine kernige Formulierung verlegen war: "Mit Amerikanern muss man amerikanisch reden", gab vor wenigen Wochen Ex-Präsident Lech Walesa zu Protokoll. "Man muss mit ihnen Klartext reden, ihnen Rechnungen ausstellen. Wir zahlen heute mit polnischem Blut die Zeche für die Fehler amerikanischer Politiker. Und sie behandeln uns im Gegenzug wie das fünfte Rad am Wagen." Anfang September zog auch der amtierende Präsident Aleksander Kwasniewski nach und bemängelte ausgerechnet der "New York Times" gegenüber die Supermachtpolitik der USA. Eine Antwort auf die Frage, ob er die Truppenentsendung in den Irak bereue, verweigert der Präsident.
"In den Tod geschickt"
Abgesehen vom SLD-Bündnis, das inzwischen zwar gern aus der Irakverpflichtung herauskommen möchte, offenbar aber noch nicht wirklich weiß, wie, stehen heute in Polen nur noch zwei politische Parteien klar hinter dem Einsatz im Zweistromland: die rechte Bürgerplattform und die - ebenfalls rechte - Law-an-Order-Partei PIS der Brüder Kaczynski.
Selbst der polnische Boulevard, der sich zu Kriegsbeginn noch hemmungslos in dramatischen Geschichten über die Kämpfe "unserer Helden" erging, druckt inzwischen immer wieder kriegskritische Artikel - ein wohl untrügliches Zeichen, dass die Stimmung im Land kippt. Vor zwei Wochen titelte eines der Flaggschiffe der polnischen Yellow-Press, der "Super Express": "Mit Gewalt in den Tod geschickt". Darunter stand die Geschichte eines im Irak getöteten Polen, der, um in der Armee bleiben zu können, seine Zustimmung zu Auslandseinsätzen geben musste - Irak und Afghanistan eingeschlossen.