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Putins früherer G8-Emissär fordert vom Westen mehr Härte.
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"Wiener Zeitung":Welche Absichten hat Putin mit der Krim?
Andrej Sillarjonow: In Sewastopol auf der Krim liegen
die Stützpunkte der russischen Schwarzmeerflotte, und die will Wladimir Putin sichern. Der russische Präsident befürchtete, dass die neue ukrainische Regierung die Stationierungsrechte kündigt und die Häfen eventuell der Nato überlässt. Zudem will er die russische und russischsprachige Bevölkerung zurück in sein Imperium holen.
Die Bewohner der Krim haben mehrheitlich für eine Abspaltung von der Ukraine gestimmt.
Das Referendum hat Putin eine legale Basis geboten, um seine Truppen in die Ukraine zu schicken. Die Krim ist nur der erste Schritt. Russland wird auch vor dem Süden und Osten der Ukraine nicht haltmachen. Die gewaltsamen Ausschreitungen in Charkow und Donezk und die Besetzung der dortigen Gebietsverwaltung hat der Kreml veranlasst. Putin will die Ostukraine destabilisieren und womöglich in einen Bürgerkrieg stürzen. Dann könnte er auch in die östlichen Regionen einmarschieren.
Die Ostukraine will mit der Übergangsregierung in Kiew nichts zu tun haben. Dort heißt es, in Kiew seien Faschisten an der Macht. Ist es nicht verständlich, dass die Ostukrainer nach einem Beschützer suchen?
Glaubt ihr im Westen das Märchen von den Faschisten? Putin sucht nur einen Vorwand für eine größere militärische Intervention. Übrigens bezweifle ich auch, dass die Mehrheit der Russen an die Faschistentheorie glaubt.
Umfragen sagen aber, dass über 60 Prozent der Russen sogar einen Krieg um die Krim befürworten würden.
Umfragen in autoritären Staaten sind unzuverlässig und reflektieren nicht die tatsächliche Auffassung der Menschen. Die öffentliche Meinung wird in Russland durch Propaganda und Gehirnwäsche geformt. Das beste Beispiel dafür ist das russische Fernsehen, das äußerst unausgewogen über die Ukraine berichtet.
Die ukrainische Übergangsregierung kippte im Februar ein Sprachengesetz und entzog der russischen Sprache den Status der Amtssprache. Hat sie damit die Situation nicht angeheizt?
Das war sicherlich ein Fehler. Dennoch war die russische Sprache im Osten und Süden der Ukraine niemals in Gefahr.
Müsste die ukrainische Regierung nicht auf den Kreml zugehen, um die Lage zu entspannen?
Die ukrainische Regierung müsste vor allem Stärke zeigen, aber das tut sie nicht. Kiew hätte gleich zu Beginn die Krim unter Kontrolle bringen müssen. Nur aus der Position der Stärke hätte Kiew einen Zugang zum Kreml. Doch stellen Sie sich vor: Ukrainische Werke liefern noch immer Waffentechnik an Russland. Im Wissen, dass Russland diese Technik gegen die Ukraine einsetzen kann.
War es ein Fehler, dass die Ukraine in den Neunzigern ihre Nuklearwaffen abgerüstetet hat?
Der Westen hat 1994 im Budapester Memorandum der Ukraine Sicherheit garantiert, wenn das Land seine Atomwaffen abrüstet. Doch heute ist der Westen nicht in der Lage, für sein Versprechen einzustehen. Besäße die Ukraine derzeit Atomwaffen, wäre es nicht zur Krim-Krise gekommen.
Der Westen hat Personen aus dem Umfeld der moskautreuen Krim-Regierung und des Kremls mit Einreiseverboten bestraft. Über weitere Sanktionen wird nachgedacht. Lässt sich Putin davon beeindrucken?
Nein, solche Sanktionen sind nicht effektiv. Die hätte man schon vor Monaten beschließen müssen. Von Einreiseverboten lässt sich ein Putin nicht abschrecken.
Sollte der Westen an die Ukraine Waffen liefern, wie einige Republikaner in den USA fordern?
Waffenlieferungen sind nicht genug. Man muss Putin militärisch entgegentreten. Ich meine damit keine Kriegshandlungen. Aber der Westen sollte zum Beispiel im Schwarzen Meer militärische Präsenz zeigen. Nur so lässt sich Putin stoppen.
Muss der Westen Putin fürchten?
Angela Merkel sagt, Putin habe den Bezug zur Realität verloren. Das sieht vom Standpunkt eines normalen europäischen Politikers so aus, ist aber falsch. Denn Putin benimmt sich nicht wie ein normaler Staatsmann. Der Westen sollte die Welt mit Putins Augen sehen und seine Logik verstehen.
Wie sieht Putins Logik aus?
Er ist getrieben von persönlicher und politischer Macht und hat in Russland eine Hysterie nach einem neuen Imperium ausgelöst. Dadurch gefährdet er die globale Sicherheit. Er bewegt sich so lange, bis er gestoppt wird.
Sie waren jahrelang Putins Berater. Wieso haben sie den Dienst quittiert?
Als ich dem Präsidententeam beitrat, war Russland noch halbwegs frei. Ich wollte mithelfen, das Land wirtschaftlich voranzubringen, und das habe ich geschafft. Immerhin machte Russland einen Sprung nach vorn und erholte sich vom Chaos der Neunziger. Politisch jedoch regierte Putin Russland zunehmend autoritärer. Nach der Geiselnahme von Beslan stieg ich aus. Als Terroristen 2004 die Schule besetzten, plädierte ich für eine besonnene Lösung. Doch Putin attackierte die Schule mit Panzern. Dadurch kamen mehr als 331 Menschen ums Leben.
Wenn Sie heute noch Putins Berater wären, was würden Sie ihm bezüglich der Ukraine jetzt raten?
Jeder kluge Berater würde ihm empfehlen, die Finger von der Ukraine zu lassen. Die Annexion der Krim kann einen Krieg auslösen. Leider ist Putin Ratschlägen gegenüber unzugänglich. Er lässt sich nicht überzeugen. (n-ost)
Andrej Illarjonow, 53, war von 2000 bis 2005 Berater von Putin und sein Repräsentant bei den G8-Staaten. Später stieg er wegen Differenzen aus.